Elke Link

Yesterday

 

Ich saß gerade noch eben vor meinen Kartoffelpuffern und einer Flasche herben Weißweins, plötzlich summte vor mich hin: YESTERDAY…

 

YESTERDAY … ich wollte gerade aufstehen und die Melodie auf dem Klavier spielen, so wie ich es damals in früheren Jahren oft tat … aber ich ließ es sein, weil ich befürchtete, dass meine Kinder erschreckt aufschreien würden. „Mama, spinnst du …?“

 

Sie hassen es, wenn ich meine Gefühle herauslasse.

 

Sie können es womöglich gar nicht verstehen, wenn ich – mittlerweile 57 Jahre alt – überhaupt noch Gefühle habe. Sie wollen einfach nicht, dass ich mir diesen "Luxus" noch gönne. Oder vielleicht sehe ich das falsch?

 

YESTERDAY … diese Musik bringt mich ins Schwärmen, versetzt mich zurück in meine Jugend, ich gehörte zu den 68-ern. JA - ich war dabei.

Ich war noch zu jung, um richtig dazu zu gehören, ich hatte bestimmt nichts gemein mit den Revoluzzern, die die Welt umkrempeln wollten, ich rauchte auch keinen Stoff, ich war noch rein – rein wie eine gerade aufblühende Blume …

Ich sang, weil die anderen sangen, den Song mit: „Sag mir, wo die Blumen sind … wo sind sie geblieben, sag mir wo die Blumen sind, wo sind sie hin?“

„Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind, die Antwort weiß ganz allein der Wind“.

 

Und ich wurde gepflückt … für immer … bis jetzt … und ich stehe in der Vase, in der immer genug Wasser ist, die in der Sonne steht, die die Menschen, die auf sie blicken, erfreut.

 

YESTERDAY … ist gestern.

 

Leider – denn ich kann dieses YESTERDAY nicht festhalten. Es war zu schön – bis jetzt – eine problemlose Zeit, eine wunderbare Ehe, Wirtschaftswunder, Super-Job, Kinder, die in der Hoffnung ins Leben geboren wurden, dass es immer so weitergehe …

 

Es gleitet mir aus der Hand. Ich habe keinen Einfluss mehr darauf … es ist Vergangenheit …

Vor mir liegt MORGEN …

 

Ich kann mich nicht auf das Morgen freuen, weil ich Angst vor dem Morgen habe … weil es alles vernichtet … alles was aufsteigend, jetzt absteigend werden lässt, es geht den Berg runter.

 

Es war alles so gut … es konnte nicht mehr besser werden. Ich habe den Zinith meines Lebens längst überschritten und befinde mich auf dem Weg nach unten. Und ich sehe keine blühenden Wiesen für meine Kinder und deren Kinder, die man sich überhaupt nicht mehr traut, zu planen.

 

Ich sehe eine unsichere Zukunft, und ich weiß, dass unsere Kinder Angst haben. Unsere Kinder wollen nicht beginnen, ihr Leben zu leben, trauen sich nicht, eigene Kinder in diese missorganisierte Welt zu setzen, sie haben Angst vor Bindungen, vor Versprechungen, die sie nicht halten können …

 

Ihre Existenz und ihre Zukunft sind bedroht und sie wollen dieses bisschen Leben nicht noch mit einem anderen Menschen teilen, der genauso denkt, wie sie.

 

Es tut mir leid, sie zu sehen, meine Kinder, und nicht helfen zu können … die jungen Menschen, die kommende Generation … die ohne Begeisterung „ins Leben springen“ müssten, wenn überhaupt … die abwarten, ob nicht doch noch was für sie abspringt. Und sie hoffen …

 

Ich singe wieder YESTERDAY … ganz leise, dass mich keiner hört, ich wünsche meinen Kindern und allen Kindern der Welt, dass es doch noch eine Zukunft gibt, und meine Gedanken gehen zurück in die Zeit, als wir jung waren und uns die Welt offen stand.