Marion Belz

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Güstrowerin verarbeitet Trauer in einem Buch

Der Tod ihres Sohnes hat Marion Belz in ein seelisches Tief gestürzt

Von Margitta True | 07.04.2022, 19:01 Uhr

 

„Es ist Ostern und vier freie Tage liegen vor uns.“ So beginnt das Buch der Güstrowerin. 2013 macht sie sich mit ihrer Tochter eine schöne Zeit in Hamburg. Dann schlägt eine Nachricht ein, die ihr

Leben für immer verändert.

Der 7. April 2013 ist der Tag, der für Marion Belz für immer Dreh-und Angelpunkt ihres Lebens sein wird: Alles Weitere findet statt unter dem Aspekt, dass ihr Sohn Sascha nicht mehr am Leben ist.

Kurz vor Ostern, die beiden erwachsenen Kinder sind erstmals nicht daheim zu den Feiertagen, verabredet sich Marion mit ihrer Tochter in Hamburg, zum Shoppen, Klönen, Konzert. Was sie nicht

weiß: Ihr damals 24-jähriger Sohn Sascha, Volkswirtschafts-Student an der Freien Universität Berlin, hat sich spontan entschlossen, am 33. Berliner Halbmarathon teilzunehmen. Er übernimmt das Trikot

einer Freundin, geht an den Start.

Marion kommt inzwischen in Hochstimmung nach Hause. Doch während sie in Hamburg ist, ist Sascha beim Lauf zusammengebrochen. Eineinhalb Stunden lang, wird ihr später erklärt, versuchen die Retter, ihn zu reanimieren. Erfolglos. Der junge Mann stirbt.

 

Keine Todesursache wurde gefunden.

Niemals wird festgestellt, was Sascha das Leben kostete. Auch eine Obduktion gibt keinen Aufschluss darüber. Da er nicht unter einer eigenen Teilnehmerzahl an den Start gegangen ist, braucht die

Polizei einige Stunden, um seine Identität festzustellen. Am Abend stehen die Beamten vor der Haustür der Familie Belz in Käselow.

Auch Seelsorger sind dabei, denn Saschas Eltern sollen jetzt die Nachricht verkraften, dass ihr Sohn nie wieder durch diese Tür kommen würde.

„Das war ein brutaler Absturz“, sagt Marion Belz heute: vom Hochgefühl in ein Tief, aus dem sie viele Jahre nicht herausfand.

Marion Belz versucht, ihren Sohn zu beschreiben, „der so weltoffen war, so klug, so ein glücklicher Mensch“. Sie weiß, dass er nicht gewollt hätte, dass es ihr schlecht geht: „Aber ich bin verzweifelt,

bis heute.“ Auch, weil kein Abschied möglich war.

Den vielen Freunden Saschas, die zu ihren eigenen wurden, hat Marion Belz auf der Beerdigung mitgegeben: „Lebt euer Leben.“

Doch sie selbst kann diesen Rat nicht umsetzen, bis heute nicht.

Mittlerweile hat sie eine Therapie gemacht, viele andere Trauernde getroffen, auch bei der Gruppe Verwaiste Eltern in Rostock. Doch es ist das Buch, mit dem sie einordnet, was ihr passierte:„Ich würde

nie sagen, dass Zeit alle Wunden heilt. Aber sie macht etwas.“

 

Gesellschaft akzeptiert Trauer nicht.

Marion Belz geht auch auf die Erwartungshaltung ein im Beruf und im Privaten. Nach einer gewissen Zeit werde erwartet, mit der Trauer so weit abzuschließen, dass ein Funktionieren wieder

einsetze: „Ich bin gescheitert daran.“

Die studierte Maschinenbauerin arbeitet zuletzt im Vertrieb eines Unternehmens, doch sie geht frühzeitig in Rente: „Die Trauer hat mich krank gemacht.“ Am Leben teilnehmen, wenn Sascha seine

vielen Pläne nicht umsetzen kann, fällt ihr schwer. Ihr Sohn wollte nach dem Studium im Ausland arbeiten, reisen, vielleicht bei der EU in Brüssel arbeiten.

„Das Verständnis der anderen war nach einigen Wochen aufgebraucht.“

 

Marion Belz

Autorin aus Güstrow

 

Dass Eltern ihre Kinder verlieren, ist eine Situation, die als unnatürlich empfunden wird. Heiner Jungmann von der evangelischen Kirchengemeinde Lüssow-Parum warnt davor, anderen Menschen Grenzen oder Fristen für die Trauer zu setzen.

Nur der Betroffene selbst, so der Pastor, könne bestimmen, wann er dazu bereit ist, den Tod eines geliebten Menschen zu akzeptieren und in das eigene Leben einzufügen: „Es geht darum, dem Verstorbenen einen Platz im eigenen Leben zu geben.“

 

Trauer stand mal unter Schutz

In der ersten Not, wenn die Nachricht überbracht wird und Seelsorger dabei sind, könne es durchaus dazu kommen, dass scheinbar normal ein Kaffee getrunken wird. „Dann helfen solche

Abläufe, sie geben einen Rahmen. Doch wenn man geht, kann es sein, dass der Betroffene hinter der Tür zusammenbricht.“ Das nicht wahrhaben Wollen helfe zunächst.

Doch irgendwann müsse der Trauernde durch bestimmte Phasen hindurch, sich aktiv auf den Weg zurück ins Leben machen. Das Portionieren aber, wann was geht, könne nur der Trauernde selbst.

„In der Gesellschaft geht es oft um Erlaubnisse, um Verbote“, betont der Pastor. Hilfreich seien früher Rituale gewesen: „Die Trauerzeit und das Tragen von Schwarz hatten ja auch eine Schutzwirkung.“

 

Geburt des Enkels war die Wende

Marion Belz trägt wieder Farben, seit 2018, der Geburt ihres Enkelkindes. Und sie hat gute Momente, „nie Glück, aber immerhin mal Freude“. Etwa bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit für das

„Welcome“-Projekt der evangelischen Kirche in Rostock. „Die Trauer hat sich gewandelt. Die tiefe Ohnmacht ist vorbei.“ Es scheint, als sei sie selbst auf einem langen Marathon unterwegs.

 

Mit ihrem Buch möchte Marion Belz ein Zeichen setzen: Zum einen um Verständnis für Trauernde werben. Die Aktualität, die das Thema durch den Ukraine-Krieg noch mal bekommen würde,

konnte sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung zwar nicht voraussehen. Aber nun, meint sie, kämen mit den Flüchtlingen auch Menschen, die solche Erfahrungen gerade durchleiden. „Ich möchte Mut machen“, sagt die Autorin. Sie hofft, dass ihr Buch ein Beitrag dazu ist, „dass sich Menschen mir den Themen Tod, Trauer und Trauerbewältigung auseinandersetzen“.

Wenn Marion Belz von Sascha erzählt, wird klar, wie sehr ihr der Austausch mit dem Sohn fehlt.: „Er hat alle Menschen geliebt, er hat nie einen Unterschied gemacht.“ Marion Belz erzählt, dass sie seine

Präsenz noch immer spüre, sie berichtet von Zeichen und Signalen, die sie mit ihrem Sohn in Verbindung bringt. „Jeden Abend gehe ich in Saschas Zimmer und zünde ein Licht für die Nacht an.“

„Marathon des Himmels“ von Marion Belz ist erhältlich im Güstrower Buchladen in der Innenstadt, bei der „Inselliebe“ an der Domstraße und im Café am Mühlentor am Sankt-Jürgens-Weg 22

in Güstrow. Es ist 2021 erschienen im NOEL-Verlag, ISBN 978-3-96753-076-6.

 

MEHR INFORMATIONEN:

Gruppe Verwaiste Eltern

Als ambulanter Dienst wird unter dem Dach von Diakonie und der Caritas trauernden Eltern die Möglichkeit gegeben, sich im Rahmen einer Gruppe für Verwaiste Eltern zu begegnen, auszutauschen und in ihren Lebensfragen begleitet zu werden. Ein Gruppenangebot gibt es ab dem 16. Mai.

Kontakt: Ökumenischer Ambulanter Kinderhospiz- und Familienbegleitdienst OSKAR,

Bergstraße 10, 18057 Rostock, Telefon 0381 40310202, E-Mail an

kinderhospiz@rostocker-stadtmission.de.