Schumacher, J.

Nürnberg, eine Stadt sucht ihren Mörder

 

18:30 Uhr an einem regnerischen Donnerstagabend im Januar. Der Himmel war dunkel, die Straßenlaternen und Schaufenster waren beleuchtet, der Hauptbahnhof hatte um diese Zeit eine Betriebsamkeit wie ein riesiger Ameisenhaufen. Doch einer hatte es nicht eilig, Rainer beobachtete die Menschen, die von ihren Zügen oder zu ihren Zügen hetzten. Rainer suchte ein Opfer. Durch die ganzen Filme die er sich in den letzten Jahren anschaut hatte, wurde der Wunsch in ihm immer größer einen Menschen auf bestialische Weise zu töten. Alle die Horrorfilme und Romane hatten im Laufe der Zeit dazu beigetragen, dass Rainer immer mehr aus der realen Welt in die Welt seiner Fantasien abdriftete. So war es auch heute, Rainer suchte ein Opfer und malte sich in seiner Fantasie aus, was er mit seinem Opfer anstellen würde. Alleine die Vorstellung genügte, sein Blut in Wallung geraten zu lassen. Nach über zwei Stunden hatte er zwar schon einige Frauen ausgemacht, aber die, die am meisten seiner Vorstellung entsprachen waren alle in Begleitung. Darum stieg er in ein Taxi und ließ sich an die Pegnitz fahren. Dort wollte er Richtung Wiesengrund, Wöhrder-see Stadtauswärts Ausschau nach einem geeigneten Opfer halten. Aber an diesem Abend hatte er einfach Pech, oder alle mutmaßlichen Opfer Glück. Gegen 2:00 Uhr Nachts ließ er sich mit einem Taxi Nachhause bringen, wusch sich, zog sich aus, legte sich in sein Bett und schlief nach kurzer Zeit ein. Er hatte einen unruhigen Schlaf, in seinem Traum hatte er das richtige Opfer gefunden, an diesem Opfer konnte er nun im Traum seiner Fantasie freien Lauf lassen. Es war eine sehr blutige Angelegenheit, die da in seinem Traum passierte, und es war gut das es nur ein Traum war, denn sonst wäre sein Bett Morgens nicht nur nass von seinem Schweiß, sondern rot von dem Blut seines Opfers gewesen. Den Tag verbrachte er wie üblich damit sich zwei Horrovideos anzusehen und einen Roman mit sadistischen Handlungen zu lesen. Seit zwei Jahren war er nun arbeitslos und seit vier Monaten Harz 4. Ihm gefiel das ganz gut so, Geld zu bekommen ohne etwas dafür zu tun. Von seiner Mutter, die nun schon fünf Jahre verwitwet war, bekam er jede Woche wenn er sie besuchte 100 €. Zusammen mit der Arbeitslosenhilfe konnte er gut leben, sich Taxifahrten, Filme ausleihen und Romane leisten. Doch seit einiger Zeit wurde seine Fantasie, einen Menschen umbringen zu wollen, von Tag zu Tag stärker. Immer abends wenn es dunkel wurde, konnte er sich dem Zwang seiner Fantasie nachzugeben nicht mehr wehren. So auch an diesem Abend. Von seiner Fantasie getriebenen stand er nahe dem Henkersteg, er hatte eine Frau ausgemacht, die nun sein Opfer werden sollte. Sein Messer hatte er schon gezückt, so näherte er sich seinem Opfer. Doch kurz bevor er die Frau erreichte, bemerkte diese ihn und wollte los schreien. Er merkte es, sprang einen schnellen Schritt vor und hatte das Messer ohne es wirklich zu wollen tief in die Brust der Frau gestoßen. Die Frau sackte im Bruchteil einer Sekunde in sich zusammen und lag nun blutend und mit weit aufgerissenen Augen tot vor ihm. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, Schweiß drang aus allen Poren seines Körpers, Panik erfasste ihn. Nein, so hatte er sich das nicht vorgestellt, schnell flüchtete er vom Ort des Geschehens und wusste noch nicht einmal ob er beobachtet worden war. Er schaute sich um, ob er verfolgt wurde? Niemand folgte ihm, so ging er auf dem schnellsten Weg Nachhause. Zuhause angekommen zog er erst einmal die vom Schweiß getränkten Kleider aus, ließ sich Wasser für ein Bad ein, und legte sich in die Wanne. Als er so in der Wanne lag, das Geschehen nochmals in seinen Gedanken abspielen ließ, wurde ihm erst richtig bewusst dass er einen Menschen getötet hatte. Aber nicht so wie er sich es vorgestellt hatte um seine Fantasie zu befriedigen, nein, er hatte einen für ihn sinnlosen Mord begangen. Die Nacht nahm für ihn kein Ende, immer wieder hatte er das Bild vor Augen, als das Messer in die Brust der Frau eingedrungen war. Am frühen Morgen hatte er sich angezogen und war aufgebrochen um eine Tageszeitung zu kaufen. Vom Einkauf zurück schaute er zuerst in die Tageszeitung, ob etwas über den Mord am Henkersteg drinstand. Auf der zweiten Seite stand in großen Buchstaben, kaltblütiger Mord in Nürnberg. In dem Artikel stand zu lesen, dass die Frau, die ermordet worden war, weder einem Raub noch einem Sexualtäter zum Opfer gefallen war. Ein Motiv für die Tat wäre zurzeit nicht erkennbar, und auch über den Tathergang könnte man sich momentan kein Bild machen. Rainer wirkte bedrückt über all die Einzelheiten, aber auf der anderen Seite war er auch erleichtert, dass man keine Spuren von ihm gefunden hatte. Schon am gleichen Abend trieb ihn seine Fantasie wieder nach draußen, um sich ein Opfer zu suchen. Das was am Abend vorher passiert war, hatte er geistig verdrängt, weil es für ihn eine sinnlose Tat war und seine Fantasie nicht befriedigte. Heute hatte er sich erst in der Stadt an der Frauentormauer bei den käuflichen Frauen umgeschaut, um sich Appetit zu holen und sich für sein Vorhaben einzustimmen. Nach einer Stunde im Rotlichtviertel hatte er die richtige Stimmung und den Abend vorher total vergessen. So ging Rainer wieder an die Pegnitz um sich ein Opfer zu suchen. Es war schon nach Mitternacht, als Rainer ein geeignetes Opfer ausmachte, die junge Frau war alleine unterwegs und vermutlich auf dem Nachhauseweg. Rainer hatte sie auf dem Fußweg überholt und wartete nun hinter einer Kurve, durch Hecken und Sträucher verdeckt. Als die junge Frau auf dem Fußweg an ihm vorbei ging, sprang er aus den Hecken und nahm die junge Frau von hinten in den Würgegriff. Ihren Hals in seinem Arm eingeklemmt, zerrte er die mit Armen und Beinen strampelnde Frau in die Büsche und ließ sich, erschöpft immer noch den Hals der jungen Frau in seinem Arm eingeklemmt, zu Boden gleiten. Die junge Frau hatte aufgehört zu strampeln, und als er sie endlich aus dem Würgegriff losließ, starrte sie ihn mit weit aufgerissenen und hervorquellenden toten Augen an. Er hatte sie zulange gewürgt, und somit ihren Tod verursacht. Mit einer Toten konnte er seine Fantasie nicht befriedigen, und so schaute er sich erst einmal um, ob keine Zeugen die Tat beobachtet hatten. Rainer beseitigte die Spuren die er hinterlassen hatte, und ging verärgert über sich selbst Nachhause. Auch an diesem Abend war seine Kleidung nass von Schweiß, aber dieses Mal war es nicht ausgelöst durch Panik, sondern verursacht durch die Kraftanstrengung beim Tathergang. Diese Nacht verbrachte Rainer mehr oder weniger ohne ein Auge zu schließen, der Ärger über sich selbst ließ ihn einfach nicht einschlafen. Gegen Morgen ging er gleich los, um sich eine Tageszeitung zu besorgen. Dieses Mal stand auf der ersten Seite in großen Buchstaben, Pegnitz Mörder hat wieder zugeschlagen. „Nürnberg“ Eine Stadt sucht einen Mörder. Er las den Artikel durch, in dem ähnlich wie am Morgen davor, von einer sinnlosen Tat mit unklarem Motiv die Rede war. Aber man hatte ihm einen Namen gegeben, so war er zu einer traurigen Berühmtheit, dem Pegnitz Mörder geworden. An diesem Tag hatte Rainer keine Lust sich irgendwelche Videos anzusehen oder Romane zu lesen. Er beschäftigt sich den ganzen Tag damit, einen Plan für die nächste Tat vorzubereiten. Als es dunkel wurde und er das Haus verließ, hatte er in seiner Manteltasche eine Rolle mit Klebeband und ein Seil, um sein Opfer zu knebeln und fesseln. Wieder trieb es ihn an die Pegnitz, in seiner Fantasie ein gefesseltes und geknebeltes Opfer vor sich habend, mit dem er tun und lassen konnte was er wollte. Ein Gefühl, dass heute nichts schief gehen konnte hatte sich in ihm breit gemacht, er beobachtete nun schon eine halbe Stunde eine junge Frau, die scheinbar ziellos an der Pegnitz entlang ging. Ja, das war sein Opfer, diese junge Frau entsprach ganz seinen Vorstellungen, mit ihr würde er seiner Fantasie freien Lauf lassen. Wie am Abend davor wartete er hinter den Büschen, bewaffnet mit einem Stück Klebeband in der einen, und einem Stück Seil in der anderen Hand, auf sein Opfer. Als sie an seinem Versteck vorbei ging wollte er sie von hinten anspringen, ihr mit Klebeband den Mund verschließen, und sie mit dem Seil fesseln. In dem Moment wo er sie von hinten packen wollte, drehte sie sich um, packte seinen Arm und hebelte ihn mit einem Judogriff über sich hinweg. Als er am Boden vor ihr lag, setzte sie sich auf ihn, nahm seine Hände und es machte Klick, Klick und sie hatte ihm Handschellen verpasst. Die junge Frau war Polizistin, sie und ihre Kollegen die sich in der Nähe versteckt hielten, hatten ihm eine Falle gestellt. Am darauf folgenden Tag in seiner Zelle, bekam er von seinem Zellennachbar eine Tageszeitung, wo in großen Buchstaben auf der ersten Seite zu lesen war, Pegnitz Mörder gefasst. Mehr wollte er dazu gar nicht lesen, denn einer der Aufseher sagte zu ihm, dass er jetzt viele Jahre Zeit hätte um seine Taten zu bereuen, was seine Fantasie nicht gerade beflügelte.