Neubauer, Ursula

Denn mich betrügt man nicht

Die Scheinwerfer eines Autos durchbrechen die Dunkelheit, streifen die Bäume rechts und links an der Straße, die direkt hoch zum Stadtwald führt.

 

Nebel reckt seine bleichen Finger zwischen den Bäumen hindurch. Am leeren Parkplatz „‚Heller Platz“ hält der schwarze Wagen kurz an, um dann langsam weiter in Richtung „Stöcketeich“ zu fahren. Hinter dem Steuer sitzt eine Frau. Ihr Gesicht ist weiß wie ein Leinentuch. Ihre Augen starren in die undurchdringliche Nacht und die Hände umklammern das Steuerrad. Dabei bewegt sich ihr Mund ununterbrochen.

 

„Mein Gott, was war ich naiv! Warum ist es mir nicht früher aufgefallen? Es stimmt, nach so vielen Ehejahren ist man blind und taub geworden. Man glaubt, dass es nur die anderen trifft. Es gibt genügend Beispiele dafür in unserem Freundeskreis. Trotzdem kann ich es immer noch nicht glauben. Mein Mann betrügt mich mit seiner Sekretärin! Das ist so billig. Ich dachte, das kommt nur im Fernsehen vor, in einer von diesen Vorabendserien. Wo der Ehemann abends länger im Büro bleibt, weil angeblich so viel zu tun ist, während die Ehefrau zu Hause das Essen wieder vom Tisch abräumt. Wo er am Wochenende an Konferenzen teilnimmt und natürlich die Sekretärin dazu benötigt. Ha, ich kann mir denken, wozu er sie benötigte. Oh mein Gott, mir wird ganz schlecht! Aber es ist nicht ein Fernsehfilm. Es ist real! Es passiert tatsächlich. Mir! Jetzt!

 

Ich hätte es gar nicht so schnell gemerkt, wenn ich nicht die Rechnung über ein Doppelzimmer auf seinen Namen auf seinem Schreibtisch zu Hause gefunden hätte. Aber was er mir heute erzählte, das war der Gipfel der Unverschämtheit! Ein Ring, ein Diamantring in einem Schmuckkästchen in seiner Jacke. Mit der Quittung über 1000 Euro! Mir fielen die Augen fast aus dem Kopf, als ich den Preis sah. Während unserer gesamten Ehe habe ich nie so ein teures Schmuckstück von ihm bekommen. Ich! Die ihm immer zur Seite stand. In guten wie in schlechten Zeiten. Ja, ich habe dieses Versprechen ernst genommen. Oh, ich dumme Gans!

 

So ein gutaussehendes, junges Ding taucht im Büro auf, wackelt mit Po und Busen und schon schenkt er ihr einen Diamantring. Wenn ich nur daran denke, könnte ich platzen vor Wut!

 

Natürlich habe ich ihn zur Rede gestellt. Da tischt er mir doch so eine dreiste Lüge auf, dass es mir fast die Sprache verschlagen hat. Er hebe den Ring nur für eine andere Person auf, weil er demjenigen versprochen habe, vorerst darüber Stillschweigen zu bewahren. Stillschweigen kann er jetzt genug bewahren. Ich geriet so in Rage über diese unverfrorene Ausrede, dass ich den nächstbesten Gegenstand, ein Aschenbecher aus Bleikristall, vom Schreibtisch nahm und ihm auf den Schädel haute. Ich konnte richtig hören, wie die Knochen krachten. Er fiel um wie ein gefällter Baum und war augenblicklich tot. Komisch. Er tat mir nicht mal leid, als er auf dem Boden lag. Denn mich betrügt man nicht!“

 

Das Auto fährt kurz hinter dem „Stöcketeich“ links in den nächsten Waldweg und hält direkt auf das Ufer zu. Nebelschwaden wabern über dem Wasser. Das Scheinwerferlicht kämpft sich mühsam durch die Dunkelheit. Endlich findet es den schmalen Holzsteg, der in die Mitte des Teiches führt. Die Frau steigt aus und hievt mit Mühe einen Jutesack aus dem Kofferraum. Schwer keuchend schleift sie ihn über den Steg bis an dessen Ende. Am ganzen Körper zitternd gibt sie dem Sack mehrere Fußtritte, bis er in den Teich rollt. Mit einem klatschenden Geräusch prallt er auf das Wasser und geht sofort unter. Dicke Luftblasen steigen auf und zerplatzen blubbernd. Erschrocken über diesen ungewöhnlichen Lärm heben einige Enten ihre Köpfe aus den Federn und recken neugierig den Hals. Doch der Nebel deckt wie ein Schleier den Teich zu.

 

Ohne sich noch einmal umzusehen, kehrt die Frau zum Auto zurück und steigt ein. Als sie den Motor einschalten will, klingelt ihr Handy. Sie greift danach und überprüft die eingehende Nummer. Ein kleines Lächeln erscheint auf ihrem starren Gesicht, während sie sich meldet. Eine Männerstimme ertönt. Sie klingt überglücklich.

 

„Hallo Mutter. Hier ist Niels. Ich freue mich riesig auf das Essen morgen bei euch, denn ich bringe noch einen Gast mit. Eine Frau, und zwar die Frau meines Lebens. Ich liebe sie und möchte ihr einen Antrag bei uns zu Hause machen. Dabei will ich ihr einen Diamantring überreichen. Papa war so großzügig, mir das Geld vorzustrecken und den Ring aufzubewahren. Überhaupt hat er uns sehr viel geholfen. Zum Beispiel bezahlte er immer die Hotelrechnungen für uns beide, wenn wir für die Firma unterwegs waren. Du kennst sie übrigens auch. Es ist Anja, Papas Sekretärin.“