Ehrig, Katalin

Der Schrank

Endlich ist es so weit. Ich habe schon so lange darauf gewartet. Ich suche schnell die Kiste mit den vielen bunten Lichtern und den großen, leuchtenden Kugeln hervor und bringe sie zum Baum. Celine hat den Baum schon mitten im Zimmer aufgebaut. Und ich bin so glücklich. Endlich können wir den Weihnachts-baum schmücken und dann heute Abend kommt der Weihnachtsmann. Ich habe mir einen schönen, großen Schrank für meine Kleider gewünscht. Ganz aus Holz soll er sein und ein schönes Muster soll er haben. Eigentlich wollte ich noch ein Laptop haben, aber das kann man sich erst ab 12 Jahren wünschen und ich bin erst 8 Jahre. Ich hoffe aber so sehr, dass mein Wunsch mit dem Kleiderschrank in Erfüllung geht.

Celine und ich schmücken noch den Baum, als es aus der Küche bereits ganz lecker nach Rotkohl und Hähnchenbraten riecht. Ich bekomme sofort ganz schrecklichen Hunger.

Der Baum ist wunderschön geworden und ich sitze davor und träume von meinem neuen Schrank, den mir der Weihnachtsmann vielleicht bringen wird.

Unterdessen ist der Weihnachtsmann schon mächtig im Nebenraum beschäftigt und schleppt einen riesengroßen Holzschrank in Bibas Zimmer. Natürlich ohne, dass sie es merkt.

Er ist ganz außer Atem, weil der Schrank doch ziemlich schwer ist. Aber wenn die Biba sich das gewünscht hat, kann der Weih-nachtsmann es auch nicht ändern. Alles ist wunderschön, der Tisch ist festlich gedeckt, meine Eltern trinken ein Glas Wein, liegen noch auf der Couch und hören Rockradio. Ich hole noch Salz und Pfeffer für den Tisch und rufe dann alle zum Essen. Das Essen ist super lecker, aber ich bin so aufgeregt und kann fast nichts essen. Bekomme ich nun den Schrank oder nicht?

Nach dem Essen räumen wir schnell den Tisch ab und ich sause in mein Zimmer, um mich ganz schick anzuziehen.

Und da steht er. Mein neuer Schrank. Genau wie ich ihn mir vorgestellt habe. Ganz groß und aus Holz und mit einem bunten Muster. Er ist so groß, dass ich mich darin sogar verstecken kann. „Danke lieber Weihnachtsmann, Danke!!!!”, rufe ich in den Him-mel. Ich stehe davor und staune immer noch, als ich meine Schwester vor der Tür höre.

Ich mache schnell die Tür vom Schrank auf und verstecke mich darin. Nun sitze ich hier im Schrank und rieche das Holz.

Das ist wirklich ein toller Wunsch und leise flüstere ich vor mich hin: „Danke, jetzt kann ich mir dann noch tolle Kleider wünschen und die alle hier drin aufhängen.”

Vor dem Schrank höre ich die Schritte meiner Schwester, die mich immer wieder ruft. Ich sitze im Schrank und kichere vor mich hin, weil sie mich nicht findet. Das ist wirklich lustig. Aber plötzlich wird es hell und Celine steht vor mir. „Ach, da hast du dich versteckt. Ich habe dich schon überall gesucht”, sagt sie etwas genervt.

Ihr Blick wandert nach oben und ihr Mund bleibt offen. „Biba, der Schrank ist wunderschön und erst die tollen Kleider, die darin hängen. Hast du die gesehen?”

Ich bin etwas verwundert und schaue nach links und rechts. Und da hängen wirklich wunderschöne Kleider. Ein gelbes Kleid aus Samtstoff mit leuchtenden dunkelgelben Punkten und ein rotes Kleid mit weißer Spitze und auch zwei moderne Kleider aus weißem Jeans mit großen, bunten Gürteln. Jedes Kleid ist einfach traumhaft.

Ich war vorhin so schnell in den Schrank geschlüpft, dass mir die Kleider gar nicht aufgefallen sind. Ich bin jetzt einfach nur glücklich und laufe wieder zum Esstisch zurück und erzähle es allen. Auch für die anderen liegen nun Geschenke unterm Baum und alle sind sehr glücklich.

Am nächsten Morgen wache ich auf und blicke genau auf meinen neuen Schrank. Ich kann mich aber heute nicht ent-scheiden, welches Kleid ich anziehen soll. Ich probiere alle Kleider aus, als ich vor der Tür Louis meinen Namen rufen höre. Wieder verschwinde ich schnell im Schrank, hier findet er mich ja nicht. Wieder rieche ich den schönen Duft des Holzes und den frischen Duft der neuen Kleider. Am meisten mag ich aber den Duft von frischen Pommes. Am liebsten würde ich mir mal einen riesen Berg von Pommes wünschen, mit viel Ketchup und ganz viel Mayonnaise. Das wäre so sehr lecker. Ich sitze noch einige Minuten im Schrank bis Louis verschwunden ist und klettere dann leise wieder raus. Aber die Schranktür geht nicht ganz auf. Irgendetwas versperrt davor den Weg.

Ich drücke leicht an der Tür und quetsche mich dann nach draußen durch und traue meinen Augen nicht. Neben dem Schrank steht eine riesige Glasschüssel, etwa so groß wie eine halbe Bade-wanne und die ist bis oben hin gefüllt mit knusprigen, warmen Pommes. Oben drauf ist ein riesen Berg mit Mayonnaise und Ketchup. Das kann doch nicht sein. Wie kommt das hierher? Louis kann es wohl kaum getragen haben. Das ist doch viel zu schwer. Außerdem hätte er das selbst aufgegessen.

Ich verstehe das alles nicht und stürze mich auf die Pommes. Ich esse und esse, bis der ganze Berg aufgegessen ist. Danach lege ich mich auf mein schönes Bett, weil mein Bauch so dick ist und überlege, wie die Pommes hierher kommen. Ich denke darüber nach, dass ich erst im Schrank war, dort an die Pommes gedacht habe und dann waren sie da. Genau wie mit den Kleidern. Da war ich auch im Schrank, habe da von den Kleidern geträumt und dann waren sie da. Vielleicht ist das ein Wunschschrank?

Aber so was gibt es doch nicht in Wirklichkeit. Mir lässt der Gedanke keine Ruhe und ich stehe wieder auf, obwohl mein Bauch wirklich kugelrund ist und ich fast nicht laufen kann. Ich klettere also wieder in den Schrank, schließe die Tür und wünsche mir 100 Tüten Chips. Ich warte fünf Minuten und öffne leise die Tür. Vor der Tür liegt ein riesiger Berg von Chipstüten und die sind alle nur für mich. Ich staune sehr und so wünsche ich mir jeden Tag was Neues.

10 Kilo Gummibärchen, 50 Tafeln Schokolade, 100 Zucker-stangen … So geht es jeden Tag weiter.

Meine Geschwister wissen natürlich nichts davon, schließlich ist es mein Geheimnis. Jeden Tag wünsche ich mir tolle Süßigkeiten und esse die dann ganz alleine auf. Jeden Tag denke ich nur daran, was ich mir sonst noch wünschen könnte. Es ist einfach alles so toll.

Als ich heute wieder in den Schrank klettern will, geht die Tür aber nicht mehr zu. Egal wie rum ich mich drehe, die Tür geht einfach nicht mehr zu. Ich bin einfach zu dick. Viel zu dick. Ich versuche die Tür von innen zuzuhalten und wünsche mir heute fünf Kilo Kaubonbons. Ich warte wieder fünf Minuten ab und verlasse den Schrank. Aber mein Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Ich bin nun einfach zu dick. Und wenn der Schrank nicht richtig geschlossen ist, gehen meine Wünsche nicht in Erfüllung. Das habe ich nun davon.

Hätte ich mir wenigstens ein Laptop gewünscht, könnte ich mir ein paar Süßigkeiten bei Amazon bestellen. Aber so, bin ich nun einfach nur dick und Süßigkeiten habe ich auch keine mehr ...