Kurzgeschichten-Wettbewerb Hund-Hund-Hund

 

ISBN 978-3-96753-172-5 - 16,90 € -

 

erhältlich ab 15.10.2023 im regionalen Buchhandel, Amazon und Verlags-Shop.

 

ebook-Amazon kindle - auch ab 15.10.2023 - Preis 8,45 €.  

 

 

 

Gerald Gleichmann

 

Hundesitting

 

Mein Dilemma begann, als ich eines Tages aus dem Büro nach Hause geschlichen kam und meine Freundin Angelika mir bereits im Flur freu­dig verkündete, sie sei nunmehr auf den Hund gekommen! Und das, noch ehe ich meine Straßen­schuhe in die Ecke gestellt und in die flau­schigen Pantoffeln geschlüpft war.

„Weshalb das?“, erkundigte ich mich verwirrt. „Genüge ich dir plötzlich nicht mehr?“

Daraufhin verfinsterte sich ihr Blick und ich kroch auf allen Vieren über den Teppich, auf der Suche nach meinen Frei­zeit­tretern. Die konnten sich während meiner beruflichen Abwesenheit schließlich nicht in Luft aufgelöst haben!

„Ich habe mir überlegt ...“, wandte Angelika sprichwörtlich von oben he­rab auf mich ein.

„Wie schön, dass du neuerdings für mich mitdenken willst!“, unterbrach ich sie knurrig. „Das erspart mir künftig so man­che leidige Diskussion.“

Meine Pantoffeln blieben weiterhin unsichtbar.

„Außerdem sollte so etwas wohl überlegt sein“, gab ich zu bedenken. Mit anderen Worten: Ich selbst wollte weder jetzt noch irgendwann später einen Vierbeiner im Haus!

„Bei Nichtgefallen kannst du ihn nicht einfach zurückgeben oder um­tauschen, wie einen zu kleinen Mantel“, meinte sie. „Sowieso braucht es Jahre und dutzende verlorene Nerven, ehe ein Tier erzogen wie stuben­rein ist, und wesentlich län­ger, bis er dich als sein vollwertiges Familien­mitglied akzep­tiert! Darum habe ich mir ja gedacht, Hundesitting wäre für uns der ideale Einstieg“, säuselte sie. „Eine Art Härtetest, ob du dich überhaupt als Hundebesitzer eignest“, fügte sie schnau­bend hinzu.

Ich schnaubte ebenfalls. „In meinen Ohren klingt das ver­dächtig nach: Hinter meinem Rücken hast du dich längst ent­schieden!“

Ehe ich einen noch weit gewichtigeren Einwand vorbringen konnte, entdeckte ich zufällig meine flauschigen Pantoffeln. Zumindest einen von ihnen.

Allerdings ziemlich zerknautscht und vor Nässe triefend im riesigen Maul eines mir fremden Ungeheuers, das in diesem Moment aus dem Wohn­zimmer auf mich zustürzte.

Vor Schreck fiel ich der Länge nach vor dessen gewaltige Pfoten, als meine Freundin mir kichernd zu verstehen gab: „Wie ich sehe, hast du dich mit Mäuschen schon bekanntge­macht!“

„Mäuschen?“, japste ich erschüttert. Denn es handelte sich hierbei mit­nichten um ein niedliches Nagetier, sondern ein­deutig um einen ausge­wach­senen Berner Sennenhund. Der sich zudem mit Vorliebe von Pan­tof­feln zu ernähren schien.

„Hab dich nicht so!“, rügte Angelika mich.

Mit erhobenem Finger erklärte sie schulmeisterlich, jenes allerliebstes Mäuschen gehöre ihrer Freundin Helena, von deren Existenz ich merk­würdigerweise zum allerersten mal hörte. Die befand sich in irgendeiner Erholungs- – von was auch immer – -kur und Angelika hatte sofort zu­gestimmt, dem Mäuschen, für die Dauer deren Selbstwiederfindung, Asyl bei uns zu gewähren.

Das sagte sie in einem bestimmenden Ton, der meinerseits keinerlei Wider­spruch duldete. „Außerdem habe ich mich be­reits über beide Oh­ren in ihn verliebt“, fügte sie zärtlich schnurrend hinzu.

Was mich aufhorchen ließ, war dagegen, dass sie mich mit einer gnaden­losen Selbstverständlichkeit als dessen Hunde­sit­ter bestimmt hatte. Sie selbst müsse sich schließlich um weit wichtigere Dinge kümmern!

Noch ehe ich zaghaft protestieren konnte, warf sie mir Mäus­chens Leine zu, machte auf dem Absatz kehrt und sagte leichthin: „Vertragt euch beide.“ Und: „Du schaffst das.“

Ich hatte keine Ahnung, ob sie mit der letzten Bemerkung Mäuschen oder aber mich gemeint hatte, jedenfalls ent­wickel­ten sich die folgenden Tage und Nächte zum wahren Albtraum für mich.

Mäuschen erkor unseren Flur als seinen persönlichen Rück­zugsort. Ja, sollte ich denn durch die Wohnung fliegen, kam ich müde nach Hause?

Mäuschen wurde unter Angelikas Geleit zu seinem Fress­napf in die Kü­che eskortiert, während mein Magen überlaut zu knurren begann und er mir während der Speisung trotz­dem wie ein Zentnersack hechelnd im Schoß hing.

„Gib es zu, du magst ihn ebenfalls!“, säuselte Angelika und warf dabei dem Pensionsgast verliebte Blicke zu.

„Wie ein Straßenköter seine Flöhe“, entgegnete ich kauend.

Mäuschen gewann trotz seiner Leibesfülle den allabend­lichen Wettlauf um den begehrten Lümmelplatz auf der Couch. Wobei mich Angelikas: „Er ist so niedlich!“, zusätz­lich fast zur Weißglut brachte.

Mäuschen liebte ausschließlich meine Schuhe und Pantoffeln.

Mäuschen hatte ausgerechnet meine Seite des Bettes als Nacht­lager aus­gewählt, noch ehe ich die Schlafanzughose über­gestreift hatte.

Angelika schien dessen Aufdringlichkeit dagegen nichts aus­zumachen.

Mir schon!

Beleidigt zog ich mit der Überdecke ins Wohnzimmer um und beobach­tete aus den Augenwinkeln heraus, wie Mäus­chen sich behaglich auf dem Rücken wälzte und sich – statt meinen – seinen Bauch kraulen ließ.

Wann immer Mäuschen Gassi gehen musste – und bei sei­nem ausge­woge­nen Ernährungsplan musste er das sehr oft, wurde ich als seine Be­gleit- und Aufsichtsperson be­stimmt. Ich flog hinter ihm förmlich die Treppenstufen im Flur hinab, während er am anderen Ende der Leine schon um die Haus­ecke in Richtung Park sauste.

„Sitz! Platz!“, rief ich mehrmals. Doch statt auch nur ein ein­ziges Mal zu gehorchen, drehten sich andere Spaziergänger nach mir um und drohten mit Fäusten und unschönen Wor­ten.

„Wüstling!“, schrie eine Dame älteren Jahrganges. „Ich hole die Poli­zei!“ Sie versuchte sogar, uns mit dem erhobenen Regenschirm zu ver­folgen, als wir uns eilig aus dem Staub machten.

„Mäuschen, komm sofort her zu mir!“, lockte ich.

Doch das Vieh schnüf­felte stets eine Ewigkeit an sämtlichen Bäumen und Sträuchern entlang unserer Fluchtroute, während meh­rere Mädchen mich als ‚Sitten­strolch‘ beschimpften oder ihre großen Brüder zu mir nach Hause schicken wollten. Ganz abgesehen von Frau Müller, Parterre rechts, auf deren Ab­treter Mäuschen sich nach jedem Spaziergang seine schmut­zigen Pfoten gründlich säuberte.

Dieser unwürdige Zustand konnte nicht von Dauer sein.

Als ich eben darüber nachsann, Mäuschen an eine Straßen­laterne zu binden, ihn im Tierheim als Fundhund abzugeben oder sonst wie um die Ecke zu bringen, kehrte die Freundin meiner Freundin von ihrem Selbst­findungstripp sehbar er­holt zurück und – halleluja! – Pantoffeln, Couch, Bett, ja, die ganze Wohnung nebst Angelika gehörten ab da wieder mir!

Für einen flüchtigen Moment glaubte ich das zumindest.

Denn als ich eines Tages aus dem Büro nach Hause ge­schlichen kam und Angelika mir bereits im Flur freudig ver­kündete, für eine Weile würden wir die Sitter für den Hund Herkules ihrer Freundin Franzi sein, riss mir dann doch der Geduldsfaden.

Weder kannte ich jene Franzi, noch war ich bereit, mit einem weiteren vermeintlichen Koloss das Bett zu teilen. Auch wenn mir diesmal ein zwergenhaftes Wesen entgegensprang, welches sich in meinem Pantoffel schon mal häuslich eingerichtet hatte.

„Haben wir neuerdings Ratten in der Wohnung?“, fragte ich entsetzt.

„Das ist Herkules!“, zischte sie mich an.

Da stand für mich fest: Diesmal musste sie sich entscheiden. „Er oder ich!“, warnte ich.

Sie musste darauf nicht antworten. Ihre zärtlichen Blicke gal­ten einzig dem felligen Knäuel zu ihren Füßen.

Ich machte auf dem Absatz kehrt, um meinen Notfallkoffer zu packen. Denn Hunde und ich würden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr werden.