Kurzgeschichten-Wettbewerb Hund-Hund-Hund

 

ISBN 978-3-96753-172-5 - 16,90 € -

erhältlich ab 15.10.2023 im regionalen Buchhandel, Amazon und Verlags-Shop.

ebook-Amazon kindle - auch ab 15.10.2023 - Preis 8,45 €.

 

Beccy Charlatan

 

Mein Seelenhund Susi

 

An einem der letzten sonnigen Wintertage holte mein Freund mich von der Arbeit ab. Als ich näher an das Auto herantrat, sah ich zwei spitze braune Ohren aus dem Kof­ferraum aufblitzen.

Ich öffnete die Beifahrertür und stieg ein.

„Oh, hast du sie schon abgeholt?“, fragte ich verwundert und versuchte, mehr zu sehen. Doch sie hatte sich offenbar wie­der hingelegt.

„Ja, es schien nicht schnell genug zu gehen. Da ich ohnehin früher fertig war, habe ich sie dann auch direkt abgeholt“, bestätigte er, sah in den Rückspiegel und ordnete sich erneut in den Straßenverkehr ein, während ich mich anschnallte.

Ich war müde, denn der Tag war recht anstrengend. Doch ich freute mich auch. Ein Hund.

Wie lange hatte ich davon geträumt? Seit ich ein Kind war, wollte ich immer einen vierbeinigen Begleiter. Heute war mein Traum wahr geworden. Wenn auch nur für kurze Zeit, da die Besitzerin mit ihren Kindern in der Kur war. Aber es war eine gute Möglichkeit herauszu­finden, ob ein Hund in unser zum Teil doch sehr turbulentes Leben passte.

In unserer Straße angekommen, packte ich meine Sachen zusammen.

„Wie heißt sie denn?“, fragte ich.

„Cynthia.“

Ich zog die Augenbraue hoch. Ein komischer Name für einen Hund. „Muss ich auf irgendwas achten?“

„Nein. Das Mädchen ist eh schon älter und läuft auch sehr behäbig. Futter steht schon drin, wenn sie etwas essen mag.“

„In Ordnung. Dann werde ich mal schauen, wie wir beide miteinander zurechtkommen.“

Ich gab ihm einen Kuss und stieg aus.

Da mein Freund noch weitermusste, ging ich zum Koffer­raum und öff­nete die Klappe.

Einen Augenblick sahen wir uns beide an. Ihre rehbraunen, wunderschö­nen Augen schienen mir bis auf den Grund meiner Seele zu blicken und ich spürte, so irre sich das auch im ersten Moment anhörte, eine direkte Verbindung zu ihr.

Ich ließ sie an meiner Hand schnuppern, streichelte über ihr drah­tiges Fell, während sie sich auf ihre Vorderbeine hievte. Sie schien wirklich schon alt zu sein.

Ruhig fuhr ich ihr mit einer Hand unter den Bauch, mit der anderen zwischen den Vorderbeinen durch und hob sie aus dem Auto. Sie würde es nicht schaffen, herauszuspringen.

Schwer war sie nicht. Sofort roch sie an mir und trappelte auf die Wiese vor dem Haus.

„Jay, nehme sie an die Leine!“, rief mein Freund aus dem Inneren des Wagens. „Die haut ab.“

Ich sah ihr hinterher. Sie pinkelte, während ich die Leine nahm und sie dann rief. Sie kam sofort.

„Ich glaube, das geht ohne. Bis später.“

Damit warf ich die Kofferraumtür zu und machte mich auf den Weg zu unserer Wohnung. Die Dame kam eifrig hinter­her getrappelt, roch hier und da und hatte mich immer im Auge. Ihr sehr schwerer und offenbar nicht schmerzfreier Gang fiel mir jedoch direkt auf.

Nachdem sie viel geschnuppert und ihr Geschäft verrichtet hatte, ging ich mit ihr zu unserer Haustür. Zum Glück wohnten wir im Erdgeschoss. Die vier Treppen ins Haus trug ich sie hoch. Als ich die Wohnungstür aufschloss, stürmte sie direkt rein, als wäre sie schon öfter bei uns ge­wesen. Allerdings war dem nicht so. Neugierig und interessiert sah sie sich um. Sie hatte ein sehr angenehmes und freundliches Wesen. Ihre lange Rute wedelte die gesamte Zeit hin und her.

Als ich meine Klamotten weggeräumt hatte, holte ich eines unserer älteren Kissen hervor, bezog es ihr und legte noch eine Decke darüber, sodass sie es weich und bequem hatte. Sie hatte leider von ihrer Besitzerin nichts mitbekommen. In der Ecke stand der Sack Trockenfutter.

Sobald ich alles auf dem Boden drapiert hatte, legte sie sich mit Freude drauf und beobachtete mich, während ich ihr Wasser und Futter hinstellte. Ich wusste nicht einmal, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Ebenso sah es vorhin so aus, als hätte sie doch sehr nötig gemusst. Es kam mir alles komisch vor.

Als ich mich hinsetzte und noch am Laptop arbeitete, verfiel das braune Fellknäuel in einen tiefen Schlaf. Sie bekam nicht einmal mit, dass ich aufstand. Ebenso wollte sie weder essen noch trinken.

Ich tippte vor mich hin, kochte nebenher und wartete auf mei­nen Freund. Als er abends spät nach Hause kam, wurde Cynthia wach und begann entsetzlich zu bellen, schoss hoch wie von der Tarantel ge­stochen, und ging ihn an.

Mit gefletschten Zähnen und einer Bürste, die jedem Wachhund Konkurrenz gemacht hätte, stand sie da. Aus dem alten, wirklich lieben Hund war gefühlt ein wildes Tier geworden. Ich sah erst sie, dann ihn erschrocken an.

„Hey Cynthia, ich bin es“, sprach er sie an. Doch sie hörte nicht auf. Dabei kannte sie ihn schon lange. Ich war die fremde Person für sie. Nicht er. Er drängte sie behutsam zurück und sie stellte sich vor mich, ließ ihn nicht an mich he­ran. Vorsichtig berührte ich sie und sie schoss sofort herum. Im ersten Moment fürchtete ich, dass sie mich nun beißen würde. Aber überraschenderweise tat sie das nicht, sondern drückte sich nur an mich.

Erst da konnte mein Freund sie anfassen und sie schien ihn auch zu erkennen.

„Was war denn das bitte?“, fragte ich ihn völlig perplex und streichelte das kniehohe Tier.

„Sie verteidigt dich“, stellte er fest.

„Aber warum?“

„Ich habe keine Ahnung. So was hat sie noch nie gemacht. Nicht einmal dort, wo sie wohnt, verteidigt sie irgendwen. Sie will immer nur ihre Ruhe und schlafen.“

„Sie ist ja auch ein altes Mädchen“, bemerkte ich. Langsam hatte sie sich beruhigt und ging wieder auf ihr Kissen.

Er betrachtete sie, während ich das Essen auf den Tisch stellte. „Sie verhält sich hier völlig anders und ich hatte sie schon öfter mit. Keiner kann sie ohne Leine laufen lassen. Nie. Sie ist immer weg, stellt die Ohren auf Durchzug und man muss sie wieder einfangen. Das ist nicht schwie­rig, da­durch, dass sie nicht rennt. Aber so was wie bei dir vorhin hat sie noch nie gemacht. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen, ihr kennt euch seit Jahren. Sie vertraut dir.“

Ich betrachtete erst ihn, dann die Cynthia, die uns beobachtete. „Nur warum? Ich bin ihr völlig fremd.“

Er ergriff die Gabel und begann zu essen. „Ich habe keine Ahnung. Lass uns mal abwarten, wie es sich die nächsten Tage entwickelt.“

„Wie lange soll sie eigentlich bleiben?“, fragte ich, da wir darüber nicht gesprochen hatten. Er hatte mich mehr oder weniger mit dem Hund vor vollendete Tatsachen gestellt. Doch das störte mich nicht, da ich Tiere über alles liebte und er es wusste.

„Drei Wochen.“

Ich sagte nichts dazu, sondern nickte nur.

In dieser Nacht wurde ich wach, weil irgendwas an meiner Bettdecke zerrte. Einen Moment brauchte ich, bis ich mich zurechtfand. Da spürte ich, wie sich ein warmer Körper an meine Seite legte. Zuerst wollte ich aufschreien. Was war da in meinem Bett?

Doch ich hörte ein zufriedenes Brummeln und eine nasse Nase schob sich in meine Hand. Cynthia! Leicht grinsend hob ich die Bettdecke, zog sie zu mir an den Bauch und deckte uns beide zu. Eigentlich sollte sie ja nicht im Bett schla­fen. Mein Freund mochte so was nicht. Aber es war auf meiner Bettseite. Daher entschied ich, dass es in Ordnung war.

Ich hatte meinen Arm um sie gelegt und so schliefen wir wohl beide ein. Die Nacht war ruhig.

Auf beiden Seiten schnarchte es nun. Mein Freund recht laut, der Hund leise.

„Oh Jay, ehrlich jetzt?“, weckte mich seine Stimme und ich musste erst mal wach werden.

„Was denn?“, fragte ich genervt und öffnete die Lider.

„Der Hund ist im Bett!“

„Ja, auf meiner Seite. Sie kam in der Nacht. Was soll ich machen? Sie rauswerfen?“ Neben mir hörte ich es noch immer leise schnarchen und mein Arm lag um ihren Körper.

„Nein“, brummte er. „Das bringst du eh nicht übers Herz.“

„Richtig. Außerdem scheinen ihr hier die Knochen mal nicht weh zu tun.“

„Sie ist halt ein altes Mädchen“, bemerkte er und reichte mir eine Kaffee­tasse.

„Ich glaube nicht, dass das damit zu entschuldigen ist.“

Er betrachtete mich. Dann seufzte er. „Was hast du vor?“

„Mit dem Tier zum Tierarzt. Sie frisst nicht wirklich, schau dir mal an, wie sie läuft. Das muss einen Grund haben.“

Widerstrebend nickte er. „Da gebe ich dir recht. Ich kenne hier eine gute Tierärztin.“

„Rufst du dann an und fragst mal nach?“

„Mache ich.“ Er stand auf, sah auf Cynthia und dann auf mich. „Sie will den Hund übrigens abgeben.“

Nun starrte ich ihn fassungslos an. „So ein altes Mädchen will sie ab­geben?“

„Ja. Das ist auch da nichts für sie. Die Kinder zerren den ganzen Tag an ihr herum, raus kommt sie auch nicht so wirklich viel ...“ Er brach ab, denn er kannte mich gut genug.

Ich atmete tief durch. „Klär das ab, dass sie hierbleibt.“

Er lachte leicht. „Das entscheidest du einfach?“

„Ja. Du kennst mich gut genug. Wenn du nicht selbst mit dem Gedanken gespielt hättest, hättest du mir nicht gesagt, dass man sie abgeben möch­te. Wir kommen gut miteinander zurecht. Die meiste Zeit ist sie eh mit mir allein. Wir müssen halt zusehen, dass sie nicht auf dich losgeht.“

„Schlaue Frau“, grinste er. „Das wird schon. Ich mache mir da keine Ge­danken, was ihren Charakter angeht. Sie schützt dich. Das ist ein alter Wachhund.“

Ich betrachtete das Tier. „Warum auch immer sie mir gegenüber so einen Beschützerinstinkt hat.“

Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Sie wird ihre Gründe haben.“

Mittags waren wir mit Susi, wie ich sie nannte, beim Tierarzt. Die Dame war wirklich sehr freundlich und kompetent. Sie kannte meinen Freund. Zuerst untersuchte sie Susi, die das Ganze nicht allzu witzig fand, es jedoch ertrug, solange ich bei ihr war.

„Das Tier ist voll mit Arthrose“, stellte sie fest. „Sie hat Schmerzen bei jedem Schritt, bei jeder Bewegung. Haben Sie keine Tabletten für den Hund mitbekommen?“

„Nein. Das Einzige, das wir bekommen haben, war das Tier, eine Leine und Trockenfutter, das sie nicht frisst.“

Sie nickte verständnisvoll und ließ sich von meinem Freund den Namen der derzeitigen Besitzerin geben. Ich fragte nicht genauer nach. Doch an­hand des Gesichtes der Tierärztin konnte man ihre Gedanken und die Verstimmung der Dame gegenüber ablesen.

Sie gab uns starke Schmerztabletten für Susi mit. „Wir müssen schauen, ob diese anschlagen. Ansonsten haben wir noch zwei Mittel zur Auswahl. Allerdings bin ich auch ehrlich mit Ihnen, sollte das nicht deutlich besser werden, sollte man das Tier erlösen.“

Direkt hatte ich Tränen in den Augen und musste sehr schlucken. Sie war gerade einmal den zweiten Tag bei mir und schon hatte ich das alte Mädchen in mein Herz geschlossen. Die Aussichten waren alles andere als gut für sie. Doch ich wollte kämpfen.

Auf dem Rückweg fuhren wir im Futtermittelladen vorbei und ich kaufte verschiedene Sorten Nassfutter und Leckereien. Sie war eben auch recht dünn. Viel mehr zulegen sollte sie nicht, da ihr dies auch auf die Knochen ging, doch ein wenig mehr Gewicht brauchte sie laut Tierärztin.

So gab ich ihr zu Hause die erste halbe Dose Nassfutter und die alte Dame verschlang es regelrecht. Sie bettelte nach mehr. „Wir warten nun erst mal ein bisschen“, bemerkte ich und streichelte ihr über den Kopf. „Du hast vermutlich nur sehr unregelmäßig gegessen. Nicht, dass du gleich wieder alles ausspuckst, weil dein Magen die Menge gar nicht auf­nehmen und verarbeiten kann.“

Wieder kam dieser Blick von ihr, als würde sie mir bis auf den Grund meiner Seele sehen. Mein Freund war arbeiten und so setzte ich mich mit ihr auf die Couch. Sie hatte sich nah an mein Bein gelegt und schnor­chelte, nachdem ich ihr die Tablette gegeben hatte. Ich hoffte so sehr, dass die Medikamente anschlugen und dass sie bleiben durfte.

Später machten wir beide eine größere Runde. Susi war erstaunlich wach und sie streifte mit Freude über die Wiesen. Mich machte es glücklich, das alte Mädchen so zufrieden und interessiert zu sehen. Es war ein ganz anderes Bild als gestern. Ihre Augen waren klar und wach und sie machte sogar ein paar kleine Freudenhüpfer. Irgendwann setzte ich mich auf einen alten Baumstamm und ließ sie stromern. Immer schaute sie sich um, wo ich war und wenn ich sie mit ihrem neuen Namen rief, kam sie auch direkt.

Als wir heimkamen, kam mein Freund gerade. Lustigerweise lief sie freudestrahlend auf ihn zu und legte ihre Schnauze in seine Hand. „Na altes Mädchen“, grüßte er sie und streichel­te ihr Fell. Sie gab ein zufrie­denes Brummen von sich. Dann bückte er sich, nahm sie vorsichtig auf den Arm und gab sie mir. Ich sah ihn irritiert an.

„Ich wollte dir deinen Hund wenigstens auch wie ein Geschenk überreichen. Ich habe nur keine rote Schleife mehr bekommen“, grinste er.

„Was?“, fragte ich fassungslos und ließ sie runter.

Freudig drückte das Fellknäuel immer wieder ihre Schnauze in unsere Hände. „Sie hat ‚ja‘ gesagt?“

„Ja. Cynthia beziehungsweise Susi ist nun offiziell unser Hund. Sobald sie aus der Kur zurück ist, hole ich die Papiere und dann kannst du sie ummelden.“

Ich hatte Tränen in den Augen, umarmte erst ihn und dann meine Susi. Sie war das tollste Geschenk, das er mir je gemacht hat.

Susi schaffte es. Sie zeigte allen ihren Lebenswillen und ihre Freude. Unsere Tierärztin war völlig perplex, als wir nach zwei Wochen wieder zu ihr kamen und Susi durch die Gänge strazte. „Meine Güte, was haben Sie denn mit dem Tier gemacht?“, lachte sie. „Die ist ja wie ausgewech­selt!“

„Sie scheint recht schmerzfrei zu sein. Mittlerweile läuft sie auch wieder eine halbe Stunde am Stück und hat Freude an ihrem Leben“, erklärte ich.

„Ein Glück!“, bemerkte sie. „Es hätte mir leidgetan um die alte Dame. Zugenommen hat sie auch ein wenig. Das ist pri­ma. Haben Sie mit der alten Besitzerin eine Einigung gefunden?“

„Ja. Susi bleibt bei uns. Nächste Woche holen wir die Papiere ab und mel­den sie offiziell um.“

De hond van de pootdruk„Ach, das freut mich so sehr!“