Jeden Tag in der Vorweihnachtszeit (1. bis 24.12.2023)

veröffentlichen wir hier auf dieser Homepage und bei Facebook eine Weihnachtsgeschichte.

 

Die nachfolgende Geschichte wurde anlässlich eines Kurzgeschichten-Wettbewerbs des NOEL-Verlages im Jahr 2019 im Siegerbuch veröffentlicht.

 

 

 

Weihnachten – das Fest der Nächstenliebe

 

Christina Klose

 

Tausend Schneeflocken tanzten im Licht der Straßen­laterne. Christine freute sich, dass der Kiosk noch geöffnet hatte, und kaufte gähnend eine Tageszeitung.

„Das war aber ein langer Tag. Möchten Sie einen Glüh­wein?“ fragte lächelnd die dicke, aber immer gut gelaunte Kioskin­haberin.

Christine dankte kopfschüttelnd und erklärte, sie habe es eilig, müsse noch für die morgige Weihnachtsfeier, die für die vielen Kollegen des Kaufhauses ausgerichtet wird, ihre Garderobe herrichten und dann unbedingt schlafen gehen.

Christine war als Assistentin des Inhabers und Geschäfts­führers beschäftigt und hatte heute einen besonders harten Tag verbracht. Vieles war vorzubereiten, damit die für mor­gen 19 Uhr geplante Weihnachtsfeier wie in jedem Jahr gelang. Herr Dr. Schwan verließ sich total auf sie.

Bevor sie ins Bett ging und noch ein Glas Tee trank, blätterte sie die Tageszeitung ein wenig lustlos durch, blieb dann aber an einem Artikel hängen: Jedes Jahr zu Weih­nachten ließ der eigentlich knorrige Chefredakteur der Zeitung die Redak­teure auf Suche nach besonders vom Leben gebeutelten Menschen gehen, darüber berichten und startete somit eine Spendenaktion. In diesem Jahr hatte man von einer Frau berichtet, die das Leben arg gebeutelt hatte. Zudem war sie gicht- und rheumakrank und inzwi­schen 79 Jahre alt. Als Reinemachefrau in Schulen und öffentlichen Toiletten hatte sie nach dem Tod ihres Mannes des Nachts und am frühen Morgen gearbeitet, um für ihre zwei Kinder tagsüber da zu sein. Ihre Tochter war nach dem Vater noch als Jugendliche verstorben. Ihr Sohn sei ihr immer wieder Stütze gewesen, hätte alles für die alternde Mutter getan, doch voriges Jahr sei er an Krebs verstorben. Frau H. gehe täglich ins nahe gelegene Waisenhaus und schäle Kartoffeln.

Nun bat die Redaktion ihre Leser um Hilfe jeglicher Art, um ihr Leben im Alter etwas zu erleichtern. Anfragen bitte an die Redaktion unter Tel.-Nummer 12 34 56.

Christine las den Bericht des Journalisten. Und der ließ sie selbst im Schlaf nicht mehr los. „Da muss ich etwas tun!“ Aber was.“

Am nächsten Morgen ging sie früher als gewohnt ins Büro und rief als erstes im Zeitungsverlag an. Nachdem sie er­klärt hatte, was sie vorhabe, war man (trotz strengem Da­ten­schutz) bereit, ihr den Namen von Frau H. und ihre An­schrift zu verraten. In ihrer Mittagspause eilte Christine ins Waisenhaus, das sich unweit des Kaufhauses befand, und fragte nach Frau Anna Hoffmann. Oh, die habe sie eben verfehlt: Frau Hoffmann sei schon zu Hause und komme erst morgen gegen 10 Uhr wieder. Ob man etwas ausrich­ten könne. Nein, danke! Christine wusste ja die Anschrift und beeilte sich, zu dem Haus zu kommen, das ebenfalls nicht weit entfernt von ihrer Arbeitsstelle lag. Sie klingelte und eine zarte Stimme fragte: „Ja bitte?“ Christine nannte ihren Na­men und fragte höflich, ob sie mal mit ihr wegen des Artikels in der Zeitung sprechen dürfe. Gleich öffnete sich die Tür und die zarte Stimme rief: „Bitte kommen Sie in den 2. Stock. Wir haben leider keinen Aufzug.“

Christine stieg zwei Treppen durch einen ungepflegten Flur hinauf, wo ein kleines, gramgebeugtes Mütterchen an einem dunkelbraunen Holzrahmen lehnte (der längst wieder mal Farbe hätte sehen müssen). Deren graue Haare waren or­dent­lich zu einem Knoten gebunden. Sie lächelte die junge Frau an, streckte ihr freundlich die Hand entgegen und bat sie in einen kleinen Raum. „Das ist mein Reich!“ sagte sie bescheiden. „Die Toilette ist im Flur – da, wo Sie eben vorbei sind.“

Christine war erschüttert. So lebte eine alte Frau in Deutschland, die ihr Leben lang gearbeitet und zwei Kinder alleine erzogen hatte. Das wusste sie schon aus der Tages­zeitung.

„Sind Sie auch aus dem Verlag, der mich interviewt hat? Wollen Sie noch mehr von mir wissen? Es war ein netter Kollege da! Ich wollte ja gar nicht in die Zeitung, doch das Leben ist mir manchmal zu teuer ...“, sagte Frau Hoffmann entschuldigend. „Bitte nehmen Sie doch Platz.“

Beide setzten sich auf alte Holzstühle an einen wackeligen Tisch, auf dem eine mit Weihnachtsmotiven bestickte, fein saubere Decke lag. „Habe ich vor 30 Jahren selbst ge­stickt!“, sagte Frau Hoffmann stolz. In der Mitte lag ein Tannen­zweig, der mit vielen kleinen Strohsternen und einer roten Schleife dekoriert war. „Schauen Sie mal, das haben mir Kinder im Waisenhaus gebastelt. Sie gehören zur Grup­pe der Sternchenkinder. Sie haben ja keine Eltern mehr und freuen sich, wenn ich für sie Kartoffeln schäle!“

Wie rührend, dachte Christine. Ob sie zum Verlag gehöre – auf die Frage ging Christine nicht ein. Sie wollte nicht ver­raten, was sie vorhatte und wer sie war. Das sollte eine wun­derschöne Überraschung – vielleicht am Heiligen Abend - werden. Stattdessen bat sie die alte Dame, etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Dabei erfuhr sie, ähnlich wie im Zei­tungsbericht, dass ihr ganzes Leben nur harte Arbeit und den Kampf ums Überleben bedeutet hatte. Und doch war sie dankbar und zufrieden für alles. Nur den frühen Tod ihres Mannes und vor allem den ihrer Tochter konnte sie nicht verwinden.

Vorsichtig sah Christine sich um: In einer Ecke stand eine Couch, offensichtlich ihr Bett: Da lugten ein ziemlich alter Teddybär und eine ebenfalls in die Jahre gekommene Puppe mit Porzellankopf und blonden Zöpfen hervor. „Das wa­ren meine Kinder, Martin und Luise. Sie sind beide gestor­ben. Luise sehr früh an Leukämie und Martin erst voriges Jahr an Krebs.“ Frau Hoffmann wischte mit ihrer ver­brauch­ten Hand über die Augen und schaute dann zum Fenster hinaus. Dann sagte sie lächelnd: „Wissen Sie, Frau Christine, die beiden warten jeden Tag auf mich. Sie haben keinen Hunger und weinen nicht. Aber sie sind einfach für mich da. Wir schlafen seit dem Tod meines Martins ge­meinsam ein und wenn ich irgendwann nicht mehr wach werde und ich meine echten Kinder wiedersehe, sind die beiden bei mir.“

Christine nickte und spürte, wie sich ihr Herz verkrampfte.

Sie blickte sich um und fragte: „Frau Hoffmann, auf die­sem Ofen kochen Sie Ihr Mittagessen?“

„Schon lange nicht mehr, der ist doch mit Kohle zu be­heizen, und die kann ich mir nicht leisten! Und ich könnte sie nicht die Treppen hochschleppen. Meine Gicht, ver­stehen Sie, und das Rheuma! Und ich habe Arthrose und – ach, das wollen Sie doch gar nicht wissen. Das Kohlen­schleppen hat immer mein Martin gemacht und nun ...“ Sie zeigte auf eine alte elektrische Kochplatte: „Da koche ich meine Kartoffeln und mache mir heißes Wasser für den Tee. Ach, das geht alles, wenn man will.“

Christine begann zu frösteln und spürte, dass es kalt im Zimmer war, und nun erst recht wusste sie: „Hier müssen wir helfen.“ Sie fragte beim Hinausgehen, was Frau Hoff­mann denn gern hätte, wenn sich wegen des Zeitungs­be­richts einige Leser melden. Doch die winkte ab. Sie glaube ja nicht, dass der Bericht in der Zeitung etwas bringe. „Wer liest schon sowas??“ Dann lächelte sie neckisch: „Aber, sollte doch jemand glauben, mir etwas schenken zu müssen, wünschte ich mir ein neues Kopfkissen mit ganz vielen weichen Federn. Das alte ist schon so viele Jahre und na, ja, Sie wissen schon!“ Nun lachte sie schelmisch und sagte: „Ich will nicht unverschämt sein, doch eine Wolldecke könnte ich mir auch noch wünschen, denn nachts wird es im Zimmer doch oft sehr kalt! Und Martin und Luise frie­ren oft!“

Am Abend begann die Weihnachtsfeier der 30 Abteilungs­leiter und Prokuristen mit einer freundlichen Ansprache des Chefs Dr. Helmut Schwan. Das Jahr sei so erfolgreich, unerwartet gut verlaufen, das verdanke er in erster Linie der Umsichtigkeit der Abteilungsleiter und durchaus tüchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (Beifall!) Und mit diesem köstlichen Menü und gemütlichen Beisammensein wolle er sich bedanken. (Beifall) Das Weihnachtsgeld könne in die­sem Jahr tatsächlich zu 100% ausgezahlt werden (heftiger Beifall) und die Getränke des heutigen Abends gingen selbst­verständlich auf seine Rechnung. (Nochmals Beifall.) Zum Schluss seiner Rede wünschte Dr. Schwan allen ein frohes Fest und drückte die Hoffnung aus, dass jeder seinen Job weiterhin so ernst nehme, gesund bleibe und man im nächs­ten Jahr wieder froh miteinander arbeite usw.

Alle strahlten und klopften begeistert auf den Tisch und tranken auf das Wohl des Unternehmens. Endlich wurde serviert und man ließ es sich schmecken. Bier und Wein flossen in Strömen. Herr Dr. Schwan hatte sich selbst über­troffen, was Großzügigkeit anging ...

Die weihnachtlich geschmückte Tafel sah zu vorgerückter Stunde nicht mehr ganz ordentlich aus; manch einer hatte die wunderschöne Dekoration als Spielzeug genutzt, für den Jahreswechsel zu Hause pro Person aufgestellte Marzi­pan­schweinchen oder auch Schokoladenfigürchen gedan­ken­verloren oder im munteren Gespräch verwickelt ange­knab­bert. Nach dem köstlichen Abendessen wurde nun noch ein Digestiv gereicht und die Stimmung hätte nicht besser sein können.

Plötzlich stand die allseits beliebte Assistentin des Chefs auf, klopfte, um Ruhe bittend, an ihr Weinglas und tat­sächlich: In Sekunden herrschte Ruhe im Saal! Der Chef starrte sie an. Es war doch nichts abgesprochen? Was wollte ‚meine Chris­tine‘ (wie er sie nannte) denn jetzt noch, wo alle bereits einen lustigen Schwips hatten? Hatte sie zu viel getrunken?

Hoffentlich ließ das nicht die Stimmung kippen! Dr. Schwan war wieder sehr stolz auf sie. Nicht nur, dass sie alles wun­der­bar organisiert hatte. Die 40-Jährige sah mit ihrem dun­kel­blauen Kostüm und ihren schulterlangen blon­den Haaren wieder mal zum Küssen aus. Dazu ihr Können, ihr Charme. Sie war seit Jahren ein Glücksgriff für ihn. Doch jetzt. Was hatte sie vor – er war fast ärgerlich, dass sie ihn nicht einge­weiht hatte. Denn er sah sie nun ein dickes Sparschwein hochheben. Ist es zu fassen? Was sollte diese Aktion werden?

Christine hatte das riesengroße Sparschwein in der Abtei­lung für besondere Geschenke gekauft. Frau Holzapfel, die Abtei­lungsleiterin, lachte, als sie es nun sah. Sie hatte sich gewun­dert, warum Christine ein besonders großes Spar­schwein kaufen wollte, und hörte nun neugierig hin.

„Meine sehr geehrten Anwesenden, meine Damen und Her­ren, besonders lieber Herr Dr. Schwan! Bitte verzeihen Sie mir, dass ich Ihre nette Unterhaltung kurz störe. Bitte lassen Sie mich Ihnen etwas berichten, das mich seit heute Nacht nicht mehr loslässt.“ Dann erzählte sie von dem Artikel in der Tageszeitung, von ihrem Besuch in der heu­tigen Mittags­pause bei der alten Dame und ihrer Betroffen­heit über das, was sie erlebt hatte. Schweigen! Alle starrten Christine an und schwiegen.

Christine erzählte von ihrem Gefühl, als sie in der Mittags­pause zurück an ihren Arbeitsplatz geeilt sei. Sie habe sich daran erinnert, wie oft sie über Kleinigkeiten im Leben unzu­frieden sei und nun habe sie etwas erlebt, das sie sehr be­troffen mache: eine Bescheidenheit trotz solcher Armut!

Nochmal Schweigen! Nur Herr Prokurist Weiher rief: „Christine, wollen Sie Geld sammeln, dann kommen Sie schon her mit dem rosa Schwein!“ Er griff in seine Brust­tasche, zog einen Schein hervor und wedelte damit. Die meisten lachten, doch plötzlich rief Herr Horbach, der Lei­ter der Lebensmittelabteilung: „Christine! Sie sind einfach toll! Ja, ich gebe dem Schwein auch etwas, doch von mir kriegt das Mütterchen einen Präsentkorb!“

„Bist Du blöd, so eine alte Frau braucht doch keinen Prä­sentkorb. Den kann die ja nie alleine ...“, rief sein Nach­bar. „Das weiß ich!“, fiel Herr Horbach ihm ins Wort: „Doch ich stelle ihr einen zusammen, wo nur Sachen drin liegen, die eine alte Frau auch essen kann, die nicht schlecht werden! Alles klein: Büchsen, Lebensmittelvorräte, Obst usw.“ Frau Tullius aus der Damen-Oberbekleidungs­abtei­lung rief fröh­lich: „Ich spende ihr einen Bademantel!“ Dann hob Herr Rohmann, der die Abteilung Elektroartikel leitete, die Hand „Und ich sorge für einen neuen Elektro­herd!“ Frau Eich­baum, eine zarte Person, sie zeichnete ver­ant­wortlich für Bettwaren und Wollartikel: „Sagten Sie nicht, die alte Frau braucht ein neues Kopfkissen? Das bekommt sie von mir und eine neue kuschelig warme Zu­decke. Außerdem habe ich wunderschöne Lamadecken reinbe­kom­men. Da geht eine an sie!“ Aus der Geschenk­waren­abteilung kam dann noch ein kleiner Weihnachts­baum mit elektrischen Kerzen hinzu.

Christine stand da und sah, wie das fette Schweinchen die Runde machte und schwer beladen zu ihr zurückkam. Dann beklagte sich Dr. Schwan: „Und ich? Soll ich nichts rein­legen?“ Er zog seine Brieftasche hervor und spendete einen großen Schein, einen sehr großen, wie Christine später sah! Es war wirklich niemand im Saal, der nichts in das dicke Sparschwein steckte. Die Auszubildenden berieten sich und jeder gab einen Fünfer! Dann rief der Chef seinem Fahrer zu, der soeben in den Saal getreten war, um ihn nach Hause zu chauffieren: „Herr Schliephacke, meine Assistentin wird sie am Heiligen Abend um Hilfe bitten – stellen Sie sich bitte darauf ein, dass Sie vormittags nichts anderes planen! Und unsere Auszubildenden dürfen alle mit!“

Damit hatte Christine nicht gerechnet. Sie hatte mit dem Rüffel des Chefs gerechnet und evtl. sogar flapsigen Sätzen, wie: „Wollen Sie mal wieder die Welt retten?“ Und am Tag hatte sie sich bereits überlegt, was sie dann als Gegenargu­ment bringen könne. Sie hatte den Chef übergangen, ihn nicht vorher eingeweiht – so was hatte er gar nicht gern. Doch der Tag war so angereichert mit anderen Dingen, dass sie ihn nicht stören konnte (und wollte, bevor er etwas da­gegen hätte).

Keine ihrer Befürchtungen war eingetroffen – ganz im Gegenteil! Gedankenverloren streichelte sie das mächtig ge­füllte Schwein. Was würde Frau Hoffmann sagen? Sie wollte gar nicht wissen, was der Inhalt war – sie würde es ihr einfach geben.

In ihr Glücksgefühl hinein rief Dr. Schwan: „Nun darf jeder noch einen Absacker bestellen, natürlich auch trinken (hahaha) und dann gehen wir heim! Gehen! Habe ich gesagt! Wer nicht mehr gehen kann oder es zu weit nach Hause hat, bestellt sich ein Taxi. Macht der Nachtpförtner für Sie! Bringen Sie morgen die Quittung mit, Herr Nufer gibt das Geld an der Hauptkasse!“ Er kniff seinem Chef­kassie­rer, Herrn Nufer, der ihm gegenübersaß, ein Auge zu. Der wusste, dass Dr. Schwan nicht oft großzügig war, und jetzt Taxi – für so viele!!! Na ja, besser, als wenn jemand alko­holisiert einen Unfall baut! Kluger Chef.

„Ich glaube, so ein schönes Weihnachtsessen hatten wir noch nicht!“ Beim Verabschieden sagte der Chef zu Chris­tine: „Steigen Sie bei uns ins Auto ein. Herr Schliephacke und ich bringen Sie heim nach dieser Leistung! Großartig! Sie haben eine Medaille verdient!“

Am Heiligen Abend war das große Kaufhaus bis 13 Uhr geöffnet. Alle Abteilungsleiter hatten ihr Versprechen ein­ge­halten und um 11 Uhr standen und lagen alle Geschenke in Christines Büro. Herr Schliephacke war pünktlich da und alle Auszubildenden waren gekommen. Sie waren so stolz, helfen zu dürfen, und gespannt auf die Reaktion dieser alten Dame. Einer nahm den Präsentkorb, der zweite den kleinen künstlichen Weihnachtsbaum usw. usw. Christine hatte den warmen Bademantel über’m Arm und freute sich, ihn gleich Frau Hoffmann umzuhängen. Der neue Elektro­herd konnte leider erst nach Weihnachten geliefert werden. Dafür hatte Herr Rohmann einen Gutschein ausgeschrie­ben, der oben im Präsentkorb steckte.

Sie waren ein lustiges Gespann, als alle wie kleine Weih­nachtsmänner bepackt das Kaufhaus verließen. Die noch bis zur letzten Minute vor dem Fest einkaufenden Kunden blie­ben stehen und staunten nicht schlecht. Inzwischen war es nach 13 Uhr, als man vor dem Haus stand. Es war wirklich nicht weit von der Fußgängerzone der kleinen Stadt entfernt, wo Frau Hoffmann wohnte.

Christine klingelte mit großem Herzklopfen. Keine Ant­wort und niemand öffnete die Tür. ‚Nanu? Ob sie noch im Wai­senhaus ist!‘. dachte sie laut, als ein älterer Mann die Haustür von innen öffnete. Erstaunt fragte er: „Wo wollen Sie denn alle hin, etwa zu Frau Hoffmann?“

Alle nickten.

„Da wird sie sich aber freuen. Ich bin der Hausmeister, ich habe den Artikel in der Zeitung gelesen und dachte mir gleich, die Beschreibung der armen Frau passt auf Frau Hoffmann! Das hat sie verdient. So eine fleißige Person! Kommen Sie, ich lasse Sie rein! Sie muss da sein, denn ich habe sie gesehen, als sie gegen Mittag vom Waisenhaus kam.“

Langsam ging der Hausmeister die Treppe hinauf und alle folgten ihm. Dann ließ er Christine den Vortritt und sie klingelte an der Tür. Keine Antwort. Dann klopfte sie. Wieder keine Antwort. Dann pochte der Hausmeister an die Tür und sagte entschuldigend: „Sie hört nicht mehr so gut!“ Wieder nichts. Den Bademantel über ihrem Arm, betätigte Christine den Türdrücker – und siehe da: Die Tür sprang auf und sofort rief Christine laut: „Frau Hoffmann! Hallo! Nicht erschrecken! Ich bin’s – Christine!“

Keine Antwort! Sie trat vorsichtig ein, gefolgt vom Haus­meister, und sah Frau Hoffmann im Bett liegen; in den Armen ihre beiden Kinder, Martin und Luise. Christine trat zu ihr und rief leise: „Frau Hoffmann, ich bin’s, geht es Ihnen nicht gut?“

Alle waren mit ihren Gaben an der Tür stehengeblieben, nur der Hausmeister ging nun auch langsam zum Bett. Er be­rührte Frau Hoffmann am Hals und schüttelte den Kopf. Christine schrie auf: „Mein Gott, nein! Bitte nicht!“

Dann standen alle wie erstarrt im Raum, bis der Haus­meister sie alle gefühlvoll zur Tür zurück und dann hinaus­schob. Keiner der Anwesenden wusste etwas zu sagen. Alle gingen mit versteinerten Mienen vorsichtig die Treppe hi­nun­ter. Nur Christine blieb auf der obersten Treppenstufe sitzen und weinte hemmungslos.

Und immer wieder schluchz­te sie laut: „Ich bin zu spät ge­kommen! Wir sind zu spät gekommen! Warum konnte man nicht früher etwas für sie tun? Die arme Frau Hoff­mann!“

Aber darauf würde es nie mehr eine Antwort geben.