Müller, Helene

Fahrradtour - Insel Gotland

Mails von einer Radtour

auf der schwedischen Insel Gotland an meine Freunde

 

3. Juni: Wirklich schön, dass man in den Bibliotheken das Internet gratis nutzen darf.

 

Bis Oskarsham hat´s gut geklappt. Der freundliche Busfahrer hat mich mitsamt meinem Fahrrad mitgenommen. Seit gestern bin ich hier in der Jugendherberge. Einzelzimmer mit Bad, WC und TV, sehr luxuriös, aber nicht sehr kommunikationsfördernd. Dafür werde ich morgen auf Gotland in Visby in einem zur Jugendherberge umgebauten Gefängnis schlafen. Mein Zelt kann ich leider zurzeit noch nicht benutzen. Nachts sind es 7 Grad, und es regnet unaufhörlich.

 

5. Juni: Endlich auf Gotland. Visby ist eine wunderschöne, alte Hansestadt mit Katzenkopfpflaster in den Gassen und einer guterhaltenen Stadtmauer. Unendlich viel wilder Flieder blüht zurzeit. Überall der wunderbare Duft. Die Wettervorhersage für die kommende Woche: Wind, Regen, Kälte. Statt zu zelten, ziehe ich erst mal von JH zu JH.

Drückt mir die Daumen für besseres Wetter. Bei dem jetzigen ist die schönste Landschaf ungenießbar.

 

9. Juni: 2 Tage übernachtete ich in Visby - im "Gefängnis". Dann schien der Regen aufzuhören, und ich startete meine Inselrundtour. Es pladderte dann doch wieder, und es ging auch noch bergauf. Kalt war mir, und ich war nass bis auf die Haut – trotz Regenbekleidung. Doch das ist jetzt schon wieder Vergangenheit, denn seit gestern geht es mir richtig gut: Sonne, kein Wind und 18 Grad. Die Schweden sprechen vom Sommer, aber immer noch im Futur. Und es stimmt, hier ist noch Frühling. Die Baumblüte ist gerade erst im Gange, kilometerlang blüht der Flieder an den Landstraßen, Maiglöckchen und Schlüsselblumen säumen lange Abschnitte der Waldwege, dazu noch Pfingstrosen Narzissen und Akeleien. Meine Nase kann gar nicht genug bekommen von all diesen Düften.

 

2 Tage war ich auf der Insel Farö. Von Farösund geht eine kostenlose Fähre hinüber. Wenige Menschen leben da. Einer von ihnen ist Ingmar Bergmann, aber ich bin ihm nicht begegnet. Stattdessen lange, einsame Strecken durch Wachholderweide, Wald und Wiesen. Viele wuschelige, grauschwarze Schafe mit ihren neugeborenen Lämmern und zahlreiche mir unbekannte Vögel.

 

Ja, es ist schon ein feines Leben: Jeden Tag schöne Landschaft genießen und als einzige Sorge: Wo kann ich was zu essen kaufen (gar nicht so einfach), und wo finde ich ein Bett.

Ihr wisst ja, wie gerne ich esse. Also: Es gibt schwedische Butter, sehr salzig, halb gesalzen und ganz ohne Salz. Eier und Lammfleisch kommen direkt von der Wiese bzw. von der Wachholderheide. Käse gibt es mit eingebautem Cumin und Nelken. Das Gotlandbrot ist ein rundes Landbrot mit eingebackenen Pomeranzenstücken. Kuchen heißen auf Schwedisch Chokokaka, Appelkaka usw. Dazu kommen wohl hundert Eiscremesorten, u.a. mit Lakritz, Champagner, Stachelbeere, Rhabarber und Safran. Ihr merkt schon, ich bin entzückt. Brot, Käse und Trinkjoghurt habe ich tagsüber immer dabei. Denn die Cafés, wo es etwas zu essen gibt, sind weit verstreut. Ich muss auch immer gut planen: Wohin mit dem eingekauften "Gelersch" auf dem eh schon sehr beladenen Fahrrad?

 

13. Juni: Nun bin ich auf dem Weg zu Gotlands Südzipfel. Gestern hatte ich eine von 92 kleinen Inselkirchen besucht, der Innenraum mit wunderschönen Kalkmalereien von von einem deutschen Meister.

 

Die Schweden, denen ich begegnete, waren äußerst entgegenkommend und hilfsbereit. Sie sagten mir die schönsten Radstrecken und riefen sogar in den Jugendherbergen an, um für mich zu buchen.

 

Mit Zelten ist im Augenblick dagegen nix. Es ist nicht nur frisch, die Campingplätze sind im Moment noch leer und die Aufenhaltsräume daher geschlossen. Ich bin zwar eine bescheidene Zelterin, aber abends brauche ich doch ein warmes Plätzchen und eine Küche für einen heißen Tee und einen warmen Imbiss. Ab dem Mitsommerfest soll aber alles anders werden. Es heißt, dass dann die Massen hier einbrechen. Übrigens, was machen die Schweden an diesem Festtag? Sie essen Sild mit Dill und Kartoffeln und tanzen.

 

27. Juni: Nachdem ich meine Gotland-Runde beendet habe, bin ich nun wieder in Visby. Drei Tage zuvor war ich noch auf der winzigen Vogelinsel Stora Karlsö. Dort gibt es keine warmen Duschen, aber Klippen mit 233 Vogelarten.

 

In der letzten Nacht hat es heftig geschüttet, und es ist auch wieder kälter geworden.

Mein Zelt konnte ich bisher nur ein einziges Mal auf einem Campingplatz aufbauen. Von dem Jedermannsrecht möchte ich nicht so gern Gebrauch machen. Obwohl mir sogar Frauen im Touristenbüro dazu rieten. Aber nach all den gelesenen Mankells und Hakan Nessers würde ich nachts wahrscheinlich bei jedem kleinsten Geräusch hochschrecken. Heute ist mein 29. Tag.

 

Ade, du schöne Stadt Visby. Ich muss zurück zum Festland.

 

5. Juli: Auf dem Festland stöhnt man bei 24 Grad über die große Hitze.

Der Sommer ist angekommen in Schweden.

 

Ade – Visby, du schöne Stadt. Ich muss zurück zum Festland.