Mayer, Moritz

Die Maske

Es war einmal eine arme Witwe, die lebte einsam in einer Hütte. Mit ihrem Mann hatte sie keine Kinder gehabt, aber sie hatte zwei Stiefkinder, die zog sie auf – einen Sohn, der hieß Heinrich und eine Tochter, die hieß Lise. Das Mädchen verwöhnte und liebte sie über alles, den Jungen aber mochte sie nicht leiden. Sooft sie ins nächste Dorf ging, erstand sie auf dem Jahrmarkt herrliche Spielzeuge für ihre Tochter, während der Sohn nie etwas bekam. Die beiden Kinder waren aber herzensgut und hatten einander sehr lieb. Heinrich neidete seiner Schwester nichts und sie gab ihm von allem ab, wo sie nur konnte, dass er nicht unglücklich würde über der Ungerechtigkeit. Sie gingen oft Hand in Hand in den Wald, um Holz zu sammeln oder Beeren zu pflücken und Lise sammelte viele Beeren und gab Heinrich davon, denn der bekam zuhause viel zu wenig zu essen. Eines Tages jedoch geschah ein großes Unglück: Heinrich war krank und konnte nicht mit in den Wald, da musste Lise allein gehen. Wie sie aber im Wald Beeren pflückte, da kam ein Wolf und biss sie tot. Ein Hirte fand ihren Körper, erkannte sie und lief sogleich zu der alten Frau, um ihr die schreckliche Nachricht zu bringen. Als Heinrich sie aber hörte, da war er so entsetzt, dass ihm die Sinne schwanden, und er blieb drei Tage und Nächte in bewusstlosem Schlaf. Die Alte aber, als sie ihn so liegen sah, und selbst so furchtbar trauerte um ihre Tochter, sprach zu sich: Ich bin so traurig – ich habe mein geliebtes Kind verloren und nur das ungeliebte ist mir geblieben – ich will mir aus ihm einen Narren machen, dass er mich aufheitere. Und sie wühlte unter all ihren Sachen und fand eine magische Schminke, die hatte ein altes Kräuterweiblein ihr einmal geschenkt, mit der Versicherung, sie könne ihre Farbe und Gestalt ändern und fortwaschen könne sie nur das lebendige Wasser. „Nun wollen wir die Wirkung einmal erproben“, sprach die Alte zu sich, und malte ihrem Sohn im Schlaf eine Narrenmaske, so lächerlich, dass niemand sie hätte tragen wollen, nicht einmal an Karneval. Dann sprach sie einen Fluch über ihn, der machte, dass er sein Schwesterchen gänzlich vergaß. Wie er nun aufwachte, und sich nicht entsinnen konnte, was geschehen war, da führte sie ihn vor den Spiegel und sprach zu ihm: „Diese Maske ist Dir im Schlaf gewachsen – es ist sicher eine Strafe Gottes, weil Du unartig warst. Da erschrak Heinrich und fragte, wie man sie loswerden könne, die Alte aber sagte: nur das lebendige Wasser kann sie fortwaschen, sagt man, aber denke nicht, dass du es jemals finden wirst. Sie wusste nämlich selbst nicht so genau, was es damit auf sich hatte. Und hüte Dich, fügte sie noch hinzu, dass du ja nie Angst hast, oder zornig wirst, denn dann wird sich die Maske verwandeln.“

 

Fortan musste Heinrich diese Narrenmaske tragen vor seiner Stiefmutter und vor der Welt, und sooft er ins Dorf ging, lachten die Leute über ihn, viele rümpften aber auch die Nase und sprachen: „Nein, so etwas – wie kann man nur mit so einer Maske herumlaufen!“ Heinrich wurde kreuzunglücklich darüber. Die Stiefmutter aber freute sich, und sooft sie um ihr Töchterchen trauerte, sah sie Heinrich in sein albernes Narrengesicht, und ward sogleich erheitert. Sie hütete sich aber stets, mit ihm von Lise zu sprechen.

 

So vergingen Jahre. Eines Tages aber sprach Heinrich zu seiner Stiefmutter: „Ich halte es nicht mehr aus mit dieser elenden Maske – ich will in die Welt hinausgehen und das lebendige Wasser suchen.“ „Geh nur“, sprach die Alte, dachte aber bei sich: Er wird es nicht finden und bald wieder zurückkehren, denn er wird auch keine Arbeit finden mit dieser Maske. Heinrich aber zog aus, tanzte als Narr auf allen Jahrmärkten und sammelte Geld dafür in einem Hut. Überall, wo er hinkam, fragte er die Leute nach dem lebendigen Wasser – doch niemand konnte ihm Auskunft geben. Da kam er eines Tages in ein Dorf, in dem war man ganz besonders angetan von ihm und seinen Tänzen, da bat ihn ein Dorfmädchen, seine Maske abzunehmen. Andere stimmten zu, und alsbald schrie das ganze Dorf, ja, man wolle sein Gesicht sehen. Er sprach zwar „Es hilft nichts – ich brauche dazu das lebendige Wasser.“, doch niemand glaubte ihm. Und sogleich stürmten die Mädchen des Dorfes mit Gelächter und Geschrei auf ihn zu, ihm die Maske herunterzureißen, allen voran die, die ihn zuerst aufgefordert hatte. Wie Heinrich das sah, da wurde er zornig und fürchtete sich – beides zugleich – und da ward seine Maske mit einem Mal zum Gesicht eines grimmigen Wolfes. Und ehe er noch wusste, was er tat, biss er das erste der Mädchen ins Bein, dass es furchtbar blutete. Da entsetzten sich die Bewohner des Dorfes, schrien „Hexerei!“ und warfen Steine nach Heinrich, dass er nur mit knapper Not in den Schutz eines dunklen Waldes entkommen konnte. Das Mädchen aber, das er gebissen hatte, das trug man in eine Kammer und verriegelte sie dreifach. Man meinte nämlich, es sei ein Werwolf oder etwas Ähnliches gewesen und fürchtete, er werde in der Nacht wiederkommen und das Mädchen holen. Sie aber hatte vieles über Werwölfe gehört und dachte bei sich: Nein – es wird kein Werwolf gewesen sein, wohl ein anderes, wunderliches Geschöpf. Ich habe ihm wohl Angst gemacht. Und es jammerte sie, wenn sie daran dachte, wie dieses Geschöpf winselnd mit seiner hässlichen Maske in den Wald geflohen war, und sie beschloss, ihn zu suchen. Da die Tür verriegelt war, zwängte sie sich durch das Fenster, schlich sich davon und folgte Heinrichs Fußspuren in den Wald hinein. Es war tiefe Nacht und der Wald war so dicht und dunkel, dass man nicht einmal mehr die Sterne sehen konnte. Sie hinkte mit ihrem wund gebissenen Bein, doch sie lief unbeirrt weiter und als es gar zu sehr schmerzte, da nahm sie sich zwei große Stöcke als Krücken. Heinrich indes war bis ins finsterste Herz des Waldes gelaufen und hatte sich erschöpft dort niedergelegt. Da war seine Angst geschwunden und die Wolfsmaske wieder zu der des Narren geworden. Hier nun fand ihn das Mädchen, hatte Mitleid, als sie sah, wie er da lag mit seiner gar zu lächerlichen Maske, und nahm ihn in den Arm. Just in diesem Moment aber verlor der Vergessenszauber seine Wirkung. Da erinnerte sich Heinrich an seine Schwester Lise, und es war ihm im Traum, als läge er in ihren Armen. Wie er aber erwachte und sich statt in ihren in den Armen des fremden Mädchens fand, fiel ihm auch alles Übrige wieder ein, und dass sein Schwesterchen tot war. Da musste Heinrich weinen. Er weinte bitterlich, wie ein Kind, und siehe, wie er so weinte, da begann sich die Maske zu lösen und sein altes, unverändert schönes Gesicht trat hervor. Denn das lebendige Wasser, dass die Alte damals gemeint hatte, waren Tränen gewesen. Wie er aber das Mädchen sah und bemerkte, dass sie ihm den ganzen langen Weg durch den Wald gefolgt war, obgleich er sie gebissen hatte, da musste er abermals weinen, darum, was er getan hatte, und siehe, als eine seiner Tränen auf ihre Wunde tropfte, da verschwand auch sie zur Gänze, die ja die Maske gemacht hatte. Im Dorfe unterdessen war alles in Trauer, denn wie man die Kammer leer gefunden hatte, da glaubte man, der böse Werwolf sei durch das Fenster eingestiegen und habe das Mädchen geraubt. Wie freute man sich nun aber, als man Heinrich und das Mädchen – Grete war ihr Name – Hand in Hand aus dem Wald kommen sah – er gänzlich ungeschminkt und sie unverletzt! Die beiden heirateten noch im selben Jahr und lebten glücklich bis an ihr Lebensende.