Brandt, Sebastian

Die Melodie des Mondes

Die Sonne sank müde an den Baumkronen vorbei und verschwand langsam, wie ein schlaftrunkener Wanderer im Unterholz des Waldes, das den Horizont verdeckte. Der alte Mann auf der Veranda des Gasthauses "Meilenstein" schaukelte langsam hin und zurück, als er das Schauspiel beobachtete. Mit altersmüden Fingern griff er in eine der vielen Taschen seines Mantels und brachte eine gebogene kleine Holzflöte zum Vorschein. Behutsam, wie eine junger Liebhaber führte er das Instrument an seine Lippen und berührte es so zart, wie das Mondlicht auf Wasser fällt. Tief holte er Atem und begann langsam eine sanfte Melodie zu spielen, die so schön und anrührend war, dass sie dem unvorbereiteten Zuhörer Tränen in die Augen getrieben hätte. So aber nicht an diesem Abend, denn neben dem Wald, all seinen Bewohnern und der Sonne lauschte nur der Sohn des Schankwirtes, der in jenem Augenblick zur Tür hinaus trat. Die Melodie traf den Jungen so unerwartet, dass er stocksteif wie der Hase vor der Schlange stehen blieb und lauschte.

Der Alte gab vor nicht zu bemerken, dass er einen Zuhörer gefunden hatte und spielte seine sehnsüchtige Weise weiter bis hin zu einem sacht verklingenden Ende. Als das Lied zwischen den Hügeln, die die Taverne umgaben verklungen war blinzelte der Junge und schien erst da zu bemerken, dass die Melodie dünn geworden war, wie Nebel in der Mittagssonne. Er sah den Alten ehrfürchtig an und vergaß ganz und gar ihm seinen Krug Bier zu geben. Der Mann verbarg sein Schmunzeln und deutete auf den Krug auf dem Tablett des Wirtssohnes, den dieser ihm schuldbewusst reichte.

Nach einem langen tiefen Schluck und einem Seufzen reichte der Alte dem Jungen einen Kupferpfennig als Lohn. Der Junge trat nervös von einem Fuß auf den anderen, worauf er einen fragenden Blick erntete.

"Heraus damit", rumpelte es in einem herzlichen Bariton aus dem Alten hervor.

"Ich...hatte gehofft, ihr könntet mir als Trinkgeld eine Geschichte erzählen", hoffnungsvoll sah der Junge auf.

"Und was für eine Geschichte wäre das, junger Herr?"

"Eine aus der Zeitalter der Helden, von Barian und Alandder", schoss es aus dem Jungen hervor und sein Blick verlor sich glänzend in der Ferne, als könne er die beiden sehen.

"Nun gut, aber hol dir vorher einen Stuhl und mir einen weiteren Krug Bier. Dann will ich dir eine Geschichte erzählen, die du so nicht gehört hast. Aber ich warne dich, die großen Geschichten aus dieser Zeit gehen selten froh und glücklich aus", mit einem ernsten Blick maß er den Jungen, der ins Innere der Schänke stürzte, um zu tun, wie ihm geheißen.

Zu der Zeit, da der Zauber der Welt seine müden Glieder regte und der Welt einen anderen Hauch Leben gab, da waren die Halbbrüder Barian und Alandder auf dem Weg nach Süden. Die Queste der schönen und alten Norinay vom Mondsee im hohen Norden, wo die Stille lebt, wollten sie erfüllen. Denn die tiefe Sehnsucht Norinays, mit der sie von ihren verlorenen Kindern sprach, hatte Wurzeln in den Herzen der beiden jungen Männer geschlagen, denn Norinay war eine der Herrinnen der Faye, die Macht über die Gefühle der Sterblichen haben. Doch leichtfertig hatte sie nicht an die Herzen der beiden gerührt, denn sie wollte, dass sie ihren Wunsch freiwillig erfüllten und so teilte sie einen Funken ihres Verlustes und ihrer Sorge mit den beiden. Ungleich jedoch wie die Brüder waren fing Alandder den großen Teil der Sehnsucht auf, während Barian einen schwereren Anteil des Verlustes und Schwermut in sich fühlte. Dies sollte die Brüder oftmals verschiedene Wege gehen lassen, da ihre Herzen von nun an nicht mehr ganz im Gleichklang waren und nie wieder sein würden. Und da das Herz eines Mannes sein Schicksal ist, so war der Weg Barians ab diesem Tage vor ihm ausgelegt.

Die Reise würde eine lange und harte werden und Barian und Alandder würden sich vieler Gefahren erwehren müssen, doch das ist eine andere Geschichte.

Hier soll es um die Geschichte der Trennung der Brüder und den Weg  Barians gehen, bis hin zu ihrem Wiedersehen in Rotgarten am Hof der Faye.

So trug es sich zu, dass die beiden ein Schiff in den warmen Süden nahmen, um dort in der großen Bibliothek von Eldoras nach Hinweisen auf die verlorenen Kinder zu suchen. Als sie die Meerenge von Eriala passierten gerieten sie in einen Sturm und ihr Schiff lief auf ein Riff nahe der Küste und brach entzwei. Schrecklich war die Wut der Gezeiten und des Meeres, so als ob Anoth selbst das Meer angerufen hatte, da er Angst vor der Ankunft der Brüder hatte. Die Mannschaft des Schiffes konnte sich zu großen Teilen an Land retten und sah, wie die Bruchstücke ihres stolzen Schiffes in der wilden See umher geworfen wurden, wie Holzspäne beim Spalten großer Äste mit einer Axt. Nachdem sich der Sturm langsam legte wurden mehr und mehr Teile des gesunkenen Schiffes an den Strand gespült, ebenso einige Tote, die nicht den Haien geblieben waren. So auch Alandder, den der Kapitän der Mannschaft fand, jedoch Barian blieb verschollen. Alandder wurde von den Überlebenden ins Leben zurück gepflegt und kam nach zwei Tagen zu Bewusstsein, in denen jedoch immer noch jede Spur von seinem Halbbruder fehlte. Die Männer des Schiffes bauten ein Floß aus den Wrackteilen und fuhren mit dem vor Kummer kranken Alandder zum Riff hinaus und die Küste auf und ab, soweit sie es vermochten. Doch jede Spur des verlorenen Bruders blieb aus. So beugte sich der junge Mann nach acht langen und schmerzlichen Tagen dem Rat des Kapitäns, der ein guter Mann war und man brach das Lager ab und zog planmäßig in Richtung der Ebenen von Faila, um von dort eine Route in den Süden zu ersinnen. Was den Männern nicht bekannt sein konnte war, dass inzwischen Krieg von Eriala in den Norden getragen wurde und die Lande unsicher und wild geworden waren. Söldnertruppen, Banditen und Halsabschneider machten die Straßen im Schatten der Truppen Anoths unsicher, welche sich der Freien Stadt Aerathia nährten, fest entschlossen diese in Belagerung zu legen. Zu diesem Zeitpunkt war Alandder noch weit von dem begnadeten Schwertkämpfer und Taktiker entfernt, der er einmal werden würde. Jedoch schafften er und seine Begleiter den Weg zur eingekesselten Stadt zurück zu legen und sich hinein zu schleichen. Auf dem Weg dorthin schlugen sie viele kleine und große Gefechte und Alandder wuchs an Geist und Körper zu einem Mann. Er erwarb einen Ruf, der die entmutigen Menschen der verheerten Lande sich ihm anschließen ließ. Seine erste Ruhmestat, die später besungen werden sollte war der Kampf mit dem Todesser Gaheel, den Alandder in einem schrecklichen Duell stellte und erschlug. So setzte er die Einwohner des Dorfes frei.

Als sie die umzingelte Stadt erreichten und bei den seit Monaten eingekesselten Herrschern vorsprachen und ihre Dienste anboten, fielen Alandders Augen auf die Tochter der Königin Tanais, Niriel das Kind des Sonnenscheins, in deren Blut ein Anteil Faye war. So wunderschön war Niriel, dass Männer nicht die Augen von ihr nehmen konnten, wenn sie ihrer andersartigen Schönheit gewahr wurden. So war es Brauch geworden, den Blick ihr gegenüber gesenkt zu halten. Alandder indes sah sie unverhohlen an und sie ihn. Und so verfiel er ihr auf der Stelle. Während der Tage und Wochen der Belagerung nährten sie sich vorsichtig an, auch wenn Niriel Alandder zuerst als grob empfand. Doch durch ihre Rettung aus der Stadt, als Alandder mit einer Handvoll treuen Begleitern floh, um das sichere Rotgarten zu erreichen, wo die Faye sich von der Welt abgewandt hatten, erglomm auch ihr Herz für ihn, da er sie mal um mal mutig rettete

Zur Zeit da Alandder zu sich kam, erwachte auch Barian, der von einem großen Stück Planke getroffen worden war und mit eben jenem Stück an Land gespült wurde, am verlassenen Strand. So heftig war der Aufprall des Holzes, das auf seinen Schädel getroffen war, dass er benommen und ohne Erinnerung erwachte. Während sein Bruder die Küste nach ihm absuchte, saß Barian da und starrte gebannt und vollkommen still auf das Meer. Es war ihm, als sehe er es zum ersten Mal und in gewisser Weise stimmte dies auch. Am zweiten Tag spülte das Meer Dinge in die Nähe von Barian und er stand auf und wanderte den Strand auf und ab und wunderte sich, wie ein Kind beim ersten Anblick von Astern im Schnee. Zwischen dem Treibgut fand er kleine Schätze und Gegenstände, die ihn faszinierten und er packte sie in ein Stück Tuch, das das Wasser ihm angespült hatte. Als er am Abend nichts neues zwischen all den Holzstücken fand wurde Barian langweilig und er sah sich um, was er nun tun könne. Sein Blick fiel auf den steilen Anstieg der Küste zum grünen Gras der Dünen und Hügel dahinter. Die Farbe regte etwas in ihm und er wanderte begeistert los und verschwand in der Ferne. Staunend ob der Farben, die ihn in Form der Blumen umgaben, wanderte er weiter und weiter ins Landesinnere und machte erst halt, als er eine große Birke fand. Das Weiß des Stammes erfreute ihn so, dass er sich hinsetzte und seine Schätze vor sich ausbreitete. Sein Blick fiel auf eine kleine hölzerne Flöte und ein Funke Erinnerung glomm kurz in seinem Geist. Er führte die Flöte an seine Lippen und blies sachte hinein. Instinktiv fand er Töne und Melodien aus seinem Herzen, die durch die Flöte in das Land um ihn flossen. Da die Töne aber nicht in die rechte Reihenfolge wollten, brach er traurig und entmutigt ab.

Barians Geist und Herz waren durch seine Verletzung in Unordnung geraten und glichen zu dieser Zeit zerbrochenen oder gesprungenen Tonkrügen. Wie es die Natur der Menschen ist, so versuchte auch Barians Geist sich unter dieser Birke zu heilen und zusammen zu fügen, die Einzelteile an die rechten Stellen zu setzen. Doch immer wieder scheiterte er, da der Aufruhr in seinem Wesen zu groß war. Und so begann er sich auf Dinge zu besinnen, die tief in seinem Geist verwurzelt waren.

Als kleiner Junge, war Barian wann immer er unglücklich oder einsam gewesen war auf die Dächer der alten Feste seines Vaters geflohen und hatte dort der Melodie der Nacht gelauscht. Seltsam war es ihm vorgekommen, dass er Dinge hörte, die anderen verborgen blieben und so verbrachte er viele Nächte auf den Dächern. Nach und nach jedoch wurde es ihm zu einsam auf den Dächern und er sehnte sich nach einer Stimme und so begann der junge Barian mit dem Mond zu sprechen, um seine Gedanken und Gefühle zu teilen und sich weniger allein zu fühlen. Je länger er dies tat und je mehr er lauschte, desto mehr fühlte er sich, als liege in der leisen Melodie der Dinge, die ihn umgaben eine neue Note. Sacht ganz zu Anfang, aber bestimmender mit dem Fortlauf der Zeit. Dies war der Widerklang des Mondes, wie dem Jungen klar wurde, der ihm in seiner Melodie antwortete und eine neue Harmonie geschaffen hatte.

So kam es, dass Barian, als er durch die Hügel und Dünen Erialas wanderte, wieder begann auf die Melodie der Dinge zu lauschen und er erinnerte sich an Teile und Fragmente seiner ganz eigenen Melodie und die Gespräche mit dem Mond. Nun setzte er die Flöte oft an seine Lippen und spielte leise für den Mond. Immer mehr und mehr erschloss sich ihm sein Zugang zu den Harmonien, der ihn umgebenden Welt und behutsam und sachte beruhigte sich sein Geist mit jedem Mal, das er für den Mond spielte. Die Antwort des Mondes war für Barian nicht zu hören, aber sein geschundenes Herz vernahm sie doch und so begann die Heilung und das Wachsen im Wesen des Jungen erneut. Doch schlichen sich Disharmonien in seine schwermütigen Melodien ein, die von seinen Ängsten und Zweifeln und der Sehnsucht genährt waren. Immer wieder entglitt ihm seine eigene Melodie und er brach ab und lauschte in die Welt und sich hinein.

Die Tage über wanderte Barian nun durch Eriala und weiter ins Landesinnere und weiter in Richtung Norden. Jedoch wenn sich die Nacht über das Land senkte, ruhte Barian und lauschte auf die Lieder um ihn und wie es in ihm widerhallte.  Nacht um Nacht spielte er nun für den Mond und Nacht um Nacht wurde die Melodie in ihm deutlicher und klarer. Kleine Töne, die ihm vorher entflohen waren fügten sich seinem Lied und er verstand den größeren Zusammenhang immer deutlicher. Doch unweigerlich musste er an einer Stelle in seinem Spiel scheitern und sich leer und einsam fühlen, von unglaublicher Traurigkeit und Sehnsucht erfüllt, da er nicht greifen konnte, was ihm entfloh.

So kam es, dass Barian in einer Nacht zwischen vielen Feldern auf einem kleinen Hügel Platz nahm und wie immer begann zu lauschen, um dann in das Spiel der Nacht einzustimmen. Sein Lied klang wunderbar von dunklen Orten und ungreifbaren Dingen, die dem Träumenden im Augenblick des Wachens entgleiten. Dieses Spiel trieb leise durch die Nacht und über die Felder und erfüllte die kleinen Höfe und Weiler in der Umgebung und die Menschen erinnerten sich an die vergessenen Träume ihrer Kindheit. So kam es, dass ein junges Mädchen, das noch wach war und den Mond ansah, seinem Spiel lauschte und sich unwiderstehlich angezogen fühlte. Das fremde Lied weckte eine Sehnsucht nach einem unbekannten Ort in ihrem Herzen und sie machte sich auf die Quelle zu finden. Schlafwandlerisch wurde das Mädchen Velia durch die Nacht an den Fuß des Hügels gezogen, wo sie stumm und atemlos dem Lied Barians lauschte. Als er jedoch an der Stelle war, da ihm sein Lied wie Sand durch die Finger entglitt, kam sie langsam und scheu auf ihn zu, bezaubert und neugierig, ob der Gefühle, die sich in ihre regten. Sie selbst wusste es nicht, denn sie war zu jung, doch in diesem Augenblick trieb die Sehnsucht sanfte Triebe in ihrem Herzen mit Barian in Gleichklang und Harmonie spielen zu wollen. Der erste Samen einer jungen Liebe, die über die Jahre wachsen sollte. Barian indes sah und verstand auch diese Zeichen nicht, da er mit seinen eigenen Gefühlen auch die Fähigkeit verloren hatte sie bei seinen Mitmenschen zu erkennen. Als Zeichen ihrer Rührung und Dankbarkeit kniete das Mädchen neben dem sitzenden Barian und legte ihm einen schlichten eisernen Ring in den Schoß. Auch dies war Barian fremd und neu, doch er nahm den Ring und steckte ihn sich verwundert an. Langsam und behutsam begannen Velia und Barian zu sprechen. Von der Sehnsucht und der Nacht, der Melodie der Welt und dem Klang des Mondes. Und Velia spürte die Sehnsucht in sich und erkannte sie in Barian. Sie hörte seine Worte und ihr wurde klar, dass er nach seiner Melodie suchte. Da sagte sie ihm, dass unweit dieses Hügels an der Grenze Erialas ein Mann in einem Wald lebe, der die Melodien der Dinge studierte und viele von ihnen kannte. Da war Barian, als ob der Mond ihm näher gerückt sei und er bat Velia inständig um den Weg. Sie sagte es ihm widerstrebend, wohl wissend, dass er sie so schnell verlassen würde, wie sie ihn gefunden hatte. Und tatsächlich. Sobald Barian den Weg kannte, packte er in dieser Nacht seinen Beutel und verabschiedete sich eilig. So stark war der Wunsch in ihm sich selbst wieder zu finden. Velia beherrschte sich bei ihrem Abschied, weinte aber bittere Tränen des Verlustes, als Barians Gestalt in den Schatten der Nacht verschwunden war. Ihn aufhalten oder ihm folgen wollte sie nicht, da sie  wusste, dass es keinen Unterschied für ihn gemacht hätte. Aus der Melodie Barians und der Sehnsucht Velias wuchs eine Liebe in ihr, die lange ungesehen bleiben sollte, doch Jahre später sollte sie als Frau noch einmal den Weg mit dem traurigen Fremden, der ihr Herz berührt hatte kreuzen.

 

Barian indes wanderte durch die Nacht und schaffte es sich durch das Land zu schlagen und schließlich wirklich den Wald zu erreichen, den er so manisch gesucht hatte. Schon in den Ausläufern bemerkte er, dass die Melodie der Dinge sich hier geänderte hatte und mehr Töne führte, als er bislang gekannt hatte. So traf er im Herzen des Waldes auf einen alten Mann, namens Äolain. Dieser sammelte die Lieder der Welt und er kannte viele der verborgenen Harmonien der Natur. Wie kein Zweiter zu dieser Zeit wusste er, wie man richtig hörte. Unter den behutsamen Augen und  der sanften Anleitung Äolains fügten sich die Teile von Barians Herzen und Geist an vielen Stellen zusammen und er fand zu sich zurück, jedoch blieben ihm einige  wichtige Pfade in seinem Wesen verborgen, wie der Weg vom Herzen zum Verstand. Dafür jedoch lernte er unter Äolain viele neue und wunderbare Melodien und Lieder, die er vorher nicht gekannt hatte.

Äolain lehrte ihn den Fluss der Bewegung und des Tanzes zu verstehen und es wie ein Lied zu hören und  spielen zu können. Er zeigte ihm, es in Einklang mit seiner Umwelt und ihren Tönen zu tun. So wurde Barian ein tiefes Verständnis der Welt zuteil, in der lebte. Was er jedoch nicht wusste war, dass all die Lieder im Zusammenspiel mit fremder Wesen Melodien, Barian große Macht gab, da er nun uralten Antworten auf viele Fragen tief in seinem Herzen trug. Barian wusste es nicht, aber die Harmonie des Körpers zu lernen,  hieß auch den Kampf zu meistern und diese Melodie zu verfeinern, war am Ende Meisterschaft zu erlangen. Das Notenbuch hatte er  von Äolain erhalten, nur lesen lernen musste er es noch.

Er wäre vielleicht länger bei Äolain geblieben, wären nicht auch irgendwann in den Wald des Alten die Schatten des Krieges eingezogen. Und so kam es, dass Äolain durch die Hände einer Diebesbande erschlagen wurde. Als Barian dies sah, verfiel sein Geist und sein Herz in eine schwarze Disharmonie und er spielte ein, ihm bislang unbekanntes Lied von Gewalt und Blut. Vor der Macht dieser Melodie waren die Banditen wie Herbstlaub in einem Sturm. Alle miteinander erschlug Barian in einer schwarzen brodelnden Raserei, vor der er allerdings so schnell floh, wie er laufen konnte, als er wieder zu sich kam. Ohne es zu wissen, hatte Barian die Wege seiner Wut und seines Hasses wieder entdeckt, allerdings schreckte er vor ihnen zurück, wie vor einer blutigen Klinge.

 

Lange Zeit wanderte er verwirrt und schrecklich verletzt durch die Länder in den Norden und kam instinktiv an die Grenzen von Rotgarten und somit in die  Länder der Faye. Er schritt wie von einem Wunder gerührt durch die uralten und mächtigen Wälder des Edlen Volkes und erwartet hinter jeder Eiche eine Erscheinung aus einem Märchen oder einem alten Volkslied hervor springen zu sehen.

Nacht für Nacht spielte er auch hier seine Melodie von Sehnsucht und Melancholie. Nun war aber die Melodie  in der Zwischenzeit und an diesem Ort zu einer machtvollen Harmonie gewachsen und berührte alle Wesen und den Wald um ihn herum. Die Faye kamen ungesehen, ihm zu lauschen, ohne dass er sie jemals sah. Ab dieser Zeit nannten sie ihn still und ehrfurchtsvoll "Shaeodrin", den Klang der Sehnsucht.

Eines Nachts spielte Barian an einer großen Lichtung seine Melodie stiller als sonst, um die Noten des Waldes besser wahrzunehmen. In dieser Nacht sah er das erste Mal ein anderes Wesen. Eine wunderbare schöne Erscheinung einer Frau, die dort im letzten Licht des Mondes tanzte. Unbewusst geführt durch seine Melodie, berührt in ihrem Wesen war sie unbewusst mit Barian in ihrem Tanz verbunden. Wie Barian dort saß und spielte, gingen ihm die Augen über und er war voll des Wunders, ob der Gestalt aus Nachtschatten und Silberlicht ,welche sich da im Einklang zu seinem Lied bewegte, wie er es niemals gesehen oder für möglich gehalten hatte. Voller Erstaunen regte sich da sein Herz und im Mondlicht wurde der Pfad zwischen seinem Herz und dem Ort in ihm, wo er seine Sehnsucht trug geformt. Eine Silberstraße aus Mondlicht und Zuneigung, Magie und unschuldiger Verwunderung. Langsam ließ er seine Melodie verklingen und merkte nicht, dass er sie zum ersten Mal komplett gespielt und beendet hatte. Die Klänge verloren sich zwischen den Bäumen und die Frau, die sein Herz berührt und wach gerufen hatte, entfloh zwischen den Bäumen, wie Tau im Morgenlicht.

Langsam und behutsam folgte er ihr auf ihrem Weg, nicht wissend, wie er sich zu verhalten hatte. Wie würde er mit ihr reden und sich offenbaren? Dass die Frau sich unbewusst und wunderbar zu seiner Melodie bewegt hatte, klang in ihm wieder und er wusste, dass er sie lieben könnte.

Als er sie wieder zwischen den Bäumen sah, war sie in die Arme eines Mannes gesunken und begrüßte ihn mit leidenschaftlichen Küssen. In diesem Augenblick ,als er diesem Bild ansichtig wurde, brach etwas in ihm und er merkte, dass auf dem Pfad zu seinem Herzen mehr als nur die Sehnsucht und Liebe reisen konnte. Mit einem unbekannten schmerzhaften Ziehen in seiner Brust, trat Barian zwischen den Bäumen hervor, seinen Bruder nach langer Zeit wieder zu begrüßen.

Als er in das Licht trat, fiel ihm seine Flöte aus den tauben Fingern und er drehte sich nicht einmal um, sie aufzuheben, als er auf Alandder zu schritt, der diese unbekannte Frau lachend in den Armen hielt.

 

So trafen sich die Brüder wieder und es heißt an diesem Tag hat Barian für lange Zeit das letzte Mal seine Flöte gespielt.

 

Mit nassen Augen sah der Junge den alten Wanderer an, als dieser fertig war. In seinem Gesicht tiefe Bestürzung und immer noch die Hoffnung sichtbar geschrieben, die Geschichte möge nicht in diesem Augenblick enden, sondern an einem glücklicheren Moment. Der Alte ahnte, was den Jungen bewegte und schüttelte den Kopf.

"Nein, mein Junge. So endete dieser Teil der Geschichte. Wie es weitergeht ist ein anderer. Und an einem anderen Tag soll es auch erzählt werden. Sicher nicht mehr heute."

Langsam stand der Junge auf, sammelte sich währenddessen und ging benommen in die Schänke. Als die Tür hinter ihm zu fiel, nahm der Alte wieder seine Flöte auf und spielte ein weiteres Mal. Traurig und sehnsüchtig war das Lied.

Und niemand außer dem Mond hörte zu.